Der Schmetterlingsbaum
Baracke der Arbeiter sein müssen und ich in dem schmalen Gästebett in Mandys Zimmer. Morgen würde Teo wieder in den Bäumen herumklettern; die Ernte war in vollem Gang, und jeden Abend wurde lastwagenweise das geerntete Obst zur Stadt gebracht. Morgen würde ich beginnen, meine Sommersachen zusammenzupacken, denn bald ginge es zurück in das Backsteinhaus, zurück in die Schule. Dennoch standen wir da, Stirn an Stirn, die Arme umeinandergeschlungen, und wiegten uns in der Dunkelheit, als wäre es das Selbstverständlichste, was man um ein Uhr nachts in der Nähe einer Obstplantage tun kann. Vom Fenster neben diesem Tisch hier sehe ich genau die Stelle, wo wir damals standen; die Zäune sind inzwischen eingestürzt und die meisten Bäume abgestorben und von Unkraut überwuchert. Er küsste mich noch einmal, und diesmal begann seine Zunge mit einer langsamen Erforschung meines Mundes. Mitten in diesem Kuss sahen wir auf einmal Scheinwerferlicht die Zufahrt näher kommen und fuhren rasch auseinander. Wir huschten hinter einen Wacholderbusch neben dem Haus, als der Wagen meiner Tante drei Meter von uns entfernt zum Stehen kam.
Ich habe nie erfahren, warum meine Tante beschloss, mitten in der Nacht zurückzukommen; damals dachte ich, es sei deshalb, weil sie nicht glauben konnte, dass mein Onkel die Renovierung der Küche in ihrem Sinne beaufsichtigen würde. Sie traut ihm nicht, war der Gedanke, der mir durch den Sinn ging, das weiß ich noch. Teo hielt meine Hand; wir sahen oben in ihrem Schlafzimmer ein grelles Licht angehen, das gleich darauf wieder erlosch, dann schoss im Mondlicht meine Tante aus dem Haus und rannte direkt an uns vorbei, quer durch den Innenhof zum Wohnwagen von Teos Mutter.
Was daraufhin geschah, ist so traumatisch, dass ich es kaum beschreiben kann. Hinter den Fenstern des Wohnwagens flammte helles Licht auf, es folgten Geschrei und Aufruhr, ein schreckliches Kreischen, dann Dolores’ Stimme, die um etwas flehte – konnte es Gnade sein? –, ich verstand nichts, es war Spanisch. Der Instinkt hätte uns, den Kindern, befehlen sollen, den Kampf zu meiden, der dort offensichtlich stattfand; stattdessen trieb es uns geradewegs darauf zu. Wir sahen alles. Meinen Onkel, der dort nackt stand und sich langsam zur Wand drehte. Teos Mutter, ebenfalls nackt, mit den Händen ihren Kopf umklammernd, als würde sie brutal zur Hinrichtung gestoßen. Und meine Tante, den Mund zu einer harten, stummen Linie verzerrt, ließ ihrer ganzen angestauten Wut freien Lauf, hieb mit beiden Fäusten wieder und wieder auf Dolores’ braunen Körper ein, auf ihre Brüste, ihre Schenkel, während mein Onkel reglos, abgewandt danebenstand und keinen Finger rührte. Es kann nur Sekunden gedauert haben, aber mir schienen es Stunden, und ich weiß noch, dass ich erst dachte, mein Onkel müsste doch eingreifen und der Raserei ein Ende machen, und gleich darauf, als er stumm und still blieb, dachte ich, es hört überhaupt nie mehr auf, Teo und ich würden für immer in diesem Wohnwagen stehen und diesem Zusammenprall von ungezügelter Gewalt und grausamer Untätigkeit zusehen müssen.
Als meine Tante dann aber einen Stuhl packte, griff Teo ein; er riss ihn ihr aus den Händen und stieß sie gegen die Wand, wo er sie an den Schultern festhielt. Sie versuchte kurz, sich zu wehren, entwand sich dann seinem Griff und floh in die Nacht hinaus. Stille legte sich über den Raum. Die einzigen Geräusche, an die ich mich erinnere, waren Teos scharfer Atem und das friedliche Plätschern der Wellen am Seeufer, das wie ein Hohn klang. Dolores nahm die Hände vom Kopf und blickte zu meinem Onkel hinüber, der in seine Hose stieg. »Stanley … «, fing sie an, »Stanley, por favor … « Die Stimme versagte ihr, und sie sank aufs Bett zurück. Er sah sie an. »Naufragio« , murmelte er und schüttelte den Kopf. Und dann ging er, ohne einen Blick zurück, ging hinaus in die Dunkelheit, seiner Frau hinterher. Sein Gesicht war grau geworden, beinahe ausdruckslos.
Er hatte keinen Finger gerührt. Er hatte nichts gesagt als dieses eine Wort. Er schützte weder seine Geliebte noch sich. Sondern folgte seiner Gattin ins Haus zurück, um dort die volle Wucht ihres Zorns zu empfangen, und ließ die Frau, mit der er geschlafen hatte, in der Obhut ihres Sohnes zurück. Ich taumelte noch unter der Brutalität, die aus meiner Tante hervorgebrochen war wie eine Explosion und in diesem engen Raum nachzuhallen schien. Und ich taumelte unter dem Anblick
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