Der Schmetterlingsbaum
geschlüpft waren, und ich die Scheinwerfer erst einschaltete, als wir am Ende der langen Zufahrt angelangt waren. Trotzdem fürchtete ich, der Lärm des angelassenen Motors könnte jemanden alarmiert haben, dabei war die Lärmempfindlichste im ganzen Haus, meine Tante, weit fort auf der anderen Seite des Sees. Tatsache war, dass wir unentdeckt die Sanctuary Line entlangfuhren, bis wir zu einer öffentlichen Schiffsanlegestelle kamen, wo wir parken konnten. Teo legte den Arm um mich, und ich ließ den Kopf auf seine Schulter sinken und dachte, wenn er ein Junge vom Pavillon und nicht aus Mexiko gewesen wäre, hätte er hinter dem Steuer gesessen, nicht ich. Wir streichelten einander und redeten, und die zwischen uns wachsende Zuneigung machte uns keine Angst mehr und verursachte kein Unbehagen. Das Radio spielte leise die Lieder, die damals populär waren, es ging darin unter anderem um das Ende eines Sommers und den Abschied zweier Liebender. Wenn solche Songs kamen, waren wir still. Über die bevorstehende Trennung sprachen wir beide nicht; das Wunder der Gegenwart, diese Intimität hatte Vorrang vor allem, was als Nächstes geschehen mochte.
»Er war gar nicht mit Pancho Villa im Gebirge, mein Urgroßvater«, gestand Teo jetzt. »Das hab ich nur so gesagt, wegen der Geschichten, die dein Onkel erzählt. Weil ich denke, dass du mich lieben wirst, wenn ich auch Geschichten habe.« Er legte mir die Hand auf den Nacken, unter meinem Pferdeschwanz. »Vielleicht kannst du mich nicht lieben, wenn ich dir nur sage, dass wir arm sind und mein Großvater sein Leben lang nur gearbeitet hat, bis er an einem Husten starb, und mein Urgroßvater hatte keine Scheunen, die davongeflogen sind, und keine Leuchttürme und nicht mal Land.« Es habe auch keine Schießereien gegeben, gestand er traurig. Ihr Leben – das Leben aller, die er kannte – sei eine bedeutungslose Wiederholung anderen bedeutungslosen Lebens ringsum. Die Leute arbeiteten einfach, und dann starben sie. Und ich, überrascht, dass ich mich auf einmal fraulich und erwachsen fühlte, strich ihm mit den Fingern über den Wangenknochen. Schießereien und Helden im Gebirge kümmerten mich nicht. Als ich unten am See nein gesagt hatte, muss es die Reaktion auf eine Ahnung davon gewesen sein, was im Lauf dieser Nacht weiter geschah, denn alles, was ich jetzt im Auto neben ihm empfand, war klar und selbstverständlich und willkommen. Er knöpfte meine Bluse auf und legte sein Gesicht und seinen Mund auf meine kleinen Brüste, und obwohl ich erschrocken war, gab es nichts in mir, das ihn davon abhalten wollte. Er küsste meine Hände und schob sie sich unter das Hemd, legte sie auf seine seidige Haut nahe der Taille. Dann schloss er behutsam meine Bluse wieder, einen Knopf nach dem anderen, den Mund auf meinem Mund. Mein Körper schmerzte unter dem Zauber dieser Verwandlung, dieser Entwicklung des Fühlens. Zum ersten Mal erfuhr ich, dass es einen Zustand gibt, der sowohl unerträglich ist als auch heiß ersehnt.
In den Jahrzehnten, die seither vergangen sind, gab es ein paar Männer, und ich habe körperliche Lust und Befriedigung erlebt, aber immer, in jedem Raum, den wir betraten, stand zwischen diesen Männern und mir der Geist Teos, eines Jungen, den ich gerade erst kennenlernte. Vielleicht hatte ich die Hoffnung, ich könnte in ihnen seinen Geist wiedererwecken, vielleicht auch nicht. Aber mit keinem, dem ich nahekam, war ich länger als ein paar Monate zusammen, denn nicht einer von ihnen hat mich wirklich berührt.
Später, als wir auf die Farm zurückkehrten, steuerte ich den Wagen vorsichtig auf seinen Parkplatz am Ende der Zufahrt, und wir gingen Hand in Hand, in einem großen Bogen um den Picknicktisch, auf dem das Monopoly-Brett im Mondlicht schimmerte, über die Wiese. Dort auf dem Gras versuchte mir Teo den Tanz beizubringen, den er mit seiner Mutter getanzt hatte, aber ich war ungeschickt und tollpatschig, und schließlich warf er in gespielter Verzweiflung die Hände in die Luft und lachte mich aus. Dann tanzten wir so, wie die jungen Leute im Pavillon den ganzen Sommer lang getanzt hatten, langsam und umschlungen, und Teo sang noch einmal leise das traurige Lied über La Chamuscada . Ich fragte, ob die Verbrannte gestorben sei, und er sagte nein, damals jedenfalls noch nicht. Im Haus war es dunkel und still. Alles schläft, dachte ich, und Teo und ich hatten hier draußen, allein im Dunkeln eigentlich nichts verloren – er hätte längst in der
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