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Der Schmetterlingsbaum

Der Schmetterlingsbaum

Titel: Der Schmetterlingsbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Urquhart
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nennt sie überall die Verbrannte«, übersetzte er, »weil Pulver ihre Hände verbrannte. Die Revolution hat ihre Spuren auf ihr hinterlassen.«
    Seine Großmutter sei auch eine Kämpferin gewesen, erzählte er. So habe sie seinen Großvater kennengelernt. »Er war erst so alt wie ich jetzt. Sie ein paar Jahre älter. Jetzt ist sie tot.« Er summte die Melodie vor sich hin. »Mein Großvater war erst fünfzehn, als er in den Kampf zog. Für ihn, für sie beide war der Rest des Lebens nicht so wichtig, weil sie sich immer an diesen Kampf erinnerten. Mein Urgroßvater ebenfalls. Er ging mit Pancho Villa ins Gebirge, als die Yankees ihn suchten – ich meine, Pancho Villa suchten sie. Und mein Urgroßvater nahm seinen Sohn mit.« Teo sah mich an. »Mein Großvater war jünger, als wir beide sind, und er war im Gebirge und kämpfte, um ein kleines Stück Land bestellen zu können.« Er verstummte und warf einen Stein, den er aus dem Sand aufgehoben hatte, in die Leuchtspur des Mondes auf dem See. Ich wollte fragen, wer dieser Pancho Villa gewesen sei; wegen seines Namens stellte ich mir einen in eine Decke gewickelten Mexikaner mit Sombrero vor.
    Ich hätte es gern gewusst, schwieg aber – aus Verlegenheit, glaube ich: Meine Geschichtskenntnisse waren so spärlich, dass sie nur die Britischen Inseln betrafen, ihre Könige und Königinnen und ihre Kriege; dies und die folkloristische Privatgeschichte meiner Familie. Stattdessen erzählte ich ihm, dass auch mein Onkel als sehr junger Mann Soldat geworden sei, dass er dafür habe von zu Hause durchbrennen müssen. »Er ist nicht mit seinem Vater gegangen«, fügte ich hinzu. »Und damals war kein Krieg.«
    »Siehst du, wir sind nicht so jung.« Teo schien fast abwehrend. »Wir sind nicht zu jung, um Liebe zu haben.«
    »Nein«, sagte ich, und mir war nicht ganz klar, ob ich es zustimmend oder ablehnend meinte.
    Danach küsste er mich nur zwei Mal; das erste Mal, als ich nein sagte, und kurz darauf noch einmal. Zu behaupten, dass sich durch so etwas die gesamte Perspektive vollkommen verändern kann, ist absurd und sentimental, aber ich glaube wirklich, dass genau das geschah. Es lag ein ganzes Leben in diesen zwei Küssen, denke ich heute, jedenfalls eine ganze Jugend. Die Briefe waren darin, die wir einander dann nicht schrieben, der nächste und der übernächste Sommer. In meinen schwächsten Momenten, bei Tagesanbruch, wenn ich erst halb wach bin, denke ich, in diesen Küssen hätte sogar die Möglichkeit gelegen, dass wir beide zusammen diese Farm betreiben, die Obstbäume versorgen und die Felder bestellen, vielleicht lagen sogar ein paar noch nicht geborene Kinder darin. Schon klar – ich schwelge einfach in Fantasie. Wie hätten wir das denn hinkriegen sollen? Die Einwanderungsformalitäten, der lange Weg der Ausbildung und Veränderung, der uns beiden vor Teos Einwanderung bevorstand, das hätte man vielleicht noch bewerkstelligt. Aber da waren seine Familie und meine, und beide vehement dagegen, da war die vollständige Unvereinbarkeit unseres restlichen Lebens, unserer Winter. Sein Katholizismus und ich ganz ohne Religion. Das alles hätte dazu führen können, dass wir einander im kalten Tageslicht gegenüberstehen und uns anstarren; die Kombination dieser Faktoren hätte alles, was ich mir vorstellte, unmöglich gemacht, wie jeder rationale Mensch wird zugeben müssen.
    Und dennoch bewahren wir das alles doch auf, nicht wahr, diese unvollendeten Berührungen im Dunkeln? Dass ich Ihnen das alles erzähle, erweckt das Mädchen, das ich damals war, wieder zum Leben, ihr Staunen über geteilte Liebe. Sie tritt direkt hinter mich, ohne jede Ahnung von dem unumstößlichen Wissen, das sie nur Stunden später hatte, und einen kurzen Moment lang erlebe ich alles aus ihrer Sicht – wie das Seeufer aussah, wie sich Teos glatte Hand anfühlte, als er auf dem Rückweg zum Haus meine Hand hielt, wie ich mir plötzlich bewusst wurde, dass die Wagenschlüssel noch in der Tasche der Shorts waren, die ich trug und am Nachmittag getragen hatte, als ich die Sanctuary Line auf und ab gefahren war. Ich hole diese junge Liz zurück, und mit ihr kommt auch Mandy, noch ohne Ahnung von Liebe und Krieg, die in ihrem gelben Zimmer schläft, ihre Träume ein Gebräu aus Sommertanz, aufwühlenden Gedichten und neuer Herbstmode.
    Der Wagen stand ein Stück vom Haus entfernt, was ein Glück war, obwohl wir die Türen sehr vorsichtig schlossen, nachdem wir auf die vorderen Sitze

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