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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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geschnitzt und die Tische aus schwerem Eichenholz.
    Er kannte den Wirt, Herrn Kamp, dem Namen nach und vom Sehen, und Kamp mußte ihn ebenfalls kennen. Er war ein kleiner, kahlköpfiger Mann, ruhig und höflich, der immer Pantoffeln trug. Er war sicherlich einmal sehr dick gewesen, aber sein Bauch begann zu schrumpfen, und seine Hosen wurden ihm zu weit. In solchen Lokalen, die sich an die Vorschriften halten oder zumindest so tun, bekommt man natürlich nur schlechtes Bier.
    Man spürt, daß man stört. Bei Kamp sieht man immer vier oder fünf Stammgäste, alte Männer aus dem Viertel, die ihre lange Porzellan- oder Meerschaumpfeife rauchen und sofort verstummen, wenn man eintritt. Die ganze Zeit, die man dort ist, schweigen sie geduldig und blicken einen, während sie an ihrer Pfeife ziehen, verstohlen an.
    Frank hat neue Schuhe an mit dicken Ledersohlen. Sein Mantel ist dick und warm, und von dem, was seine pelzgefütterten Handschuhe gekostet haben, würde einer dieser Greise mitsamt seiner ganzen Familie einen Monat leben können.
    Durch die kleinen Fensterscheiben späht er nach Holst aus. Hoists wegen ist er hergekommen, denn es verlangt ihn, ihm ins Gesicht zu blicken. Da der Straßenbahnfahrer am Tag zuvor um Mitternacht nach Hause gekommen und es ein Montag war, wird er gegen halb drei die Wohnung verlassen, um pünktlich um drei in seinem Depot zu sein.
    Worüber unterhielten sich die alten Männer, als Frank eintrat? Es ist ihm gleichgültig. Einer von ihnen ist Schuster und hat eine Werkstatt ein Stück weiter die Straße hinunter, aber mangels Materials arbeitet er kaum noch. Er schielt gewiß auf Franks Schuhe, schätzt ihren Wert ab und entrüstet sich innerlich, daß der junge Mann keine Gummischuhe trägt, um sie vor der Nässe zu schützen.
    Es gibt Lokale, in die man gehen kann, und andere, die man besser nicht betritt. Bei Timo fühlt sich Frank wie zu Hause. Hier nicht. Was werden sie hier über ihn sagen, wenn er wieder gegangen ist?
    Auch Holst war gewiß einmal dick und ist jetzt abgemagert. Solche Leute bilden gleichsam eine besondere Rasse, die man auf den ersten Blick erkennt. Hamling ist zwar ganz hübsch rund, aber man spürt, daß er kräftig ist. Holst, der viel größer ist und dessen Schultern bestimmt einmal sehr breit gewesen sind, wirkt jetzt wabbelig und schlaff. Nicht nur sein abgetragener Anzug hängt an ihm herunter, sondern auch seine Haut hat ihre Straffheit verloren und schlägt Falten. Übrigens auch in seinem Gesicht.
    Seit dem Anfang des Krieges – und er war damals knapp fünfzehn Jahre alt – hat Frank das Elend verachtet und jene, die sich darein schicken. Ihn ekelt geradezu vor solchen Menschen, selbst vor den Mädchen, die blaß und mager zu seiner Mutter kommen und sich sofort auf das Essen stürzen. Einige weinen vor Erregung, füllen sich ihre Teller bis an den Rand, können dann aber nichts essen.
    In der Straße, durch die die Straßenbahn fährt, ist der Schnee schmutziger als anderswo. So weit das Auge reicht, sieht man die glänzenden schwarzen Schienen, die die Perspektiven betonen, Kurven bilden, bis sich die beiden Linien wieder vereinen. Der Himmel ist niedrig, zu klar, von einer Helle, die trauriger macht als richtig grauer Himmel. Dieses Weiß hier, leichenblaß, durchsichtig, hat etwas Bedrohliches, Definitives, Ewiges; die Farben werden hart und böse, das Braun oder Schmutzig-Gelb der Häuser, zum Beispiel, das Dunkelrot der Straßenbahn, das sonst wirkt als ob es verschwimmen und auf die Straße fließen wollte. Und gegenüber von Kamp steht die lange häßliche Schlange vor dem Laden, in dem es Innereien gibt, Frauen in Schals, kleine Mädchen mit rotgefrorenen Beinen, die, um warm zu werden, mit ihren Holzsohlen auf das Pflaster stampfen.
    »Wieviel macht es?«
    Er zahlt. Der Preis ist lächerlich. Es lohnt sich kaum, für so wenig seinen Mantel aufzuknöpfen. In diesen Lokalen sind die Preise grotesk niedrig. Man bekommt allerdings auch nichts für sein Geld.
    Holst steht am Rand des Bürgersteigs in seinem langen, unförmigen Mantel, seiner Pelzmütze und seinen berühmten Schuhen, die er mit Bindfaden an den Waden festgebunden hat. In anderen Zeiten und anderen Ländern würden die Leute stehenbleiben, um ihn anzuglotzen. Sicherlich hat er sich Zeitungen unter die Jacke gestopft, die ihn warm halten sollen, und unter den Arm hat er sich seine Blechdose geklemmt und preßt sie an sich, als ob sie etwas Kostbares wäre. Was kann er schon zum

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