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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Geigenkasten sei eine Tarnung gewesen. Meistens habe er Dokumente enthalten. Er soll zu einer Terroristengruppe gehören.«
    Warum sollte Frank unruhig werden?
    Er steckt sich eine neue Zigarette an.
    »Ich habe ihn für lungenkrank gehalten.«
    Mehrmals ist er auf der Treppe einem baumlangen, mageren jungen Mann begegnet, der stets schwarz gekleidet war, einen sehr dünnen Mantel anhatte und einen Geigenkasten unter dem Arm trug. Er sah immer sehr blaß aus, hatte rote Flecke auf den Wangen und unnatürlich rote Lippen. Manchmal blieb er auf der Treppe stehen, weil er einen heftigen Hustenanfall bekam.
    Hamling hat das Wort Terrorist gebraucht wie die Angehörigen der Besatzungsmacht. Andere nennen solche Leute Patrioten. Das hat nichts zu bedeuten. Besonders bei einem Beamten läßt sich schwer erraten, was er denkt.
    Ob Kurt Hamling seine Mutter und ihn verachtet? Nicht der Mädchen wegen. Das interessiert ihn nicht. Sondern der anderen Sachen wegen, der Kohlen wegen, ihrer Beziehungen zu vielen Leuten und der Offiziere wegen, die bei ihnen verkehren?
    Angenommen, Hamling möchte etwas gegen Lotte unternehmen. Was würde dann geschehen? Lotte würde einfach hohe Beamte der Militärpolizei aufsuchen, die sie kennt, oder Frank würde mit Kromer darüber sprechen, der einen langen Arm hat.
    Diese Herren würden dann den Kommissar vorladen und ihm befehlen, den Mund zu halten.
    Lotte fürchtet sich deshalb nicht. Ob Hamling das weiß?
    Er besucht sie, wärmt sich an ihrem Feuer, läßt sich von ihr Schnaps kredenzen.
    Und Holst?
    Von manchen Mietern weiß man genau, was sie denken. Die meisten verachten und hassen Frank und seine Mutter. Manche funkeln sie zornig an, wenn sie vorbeigehen.
    Die einen nur, weil Lotte Kohlen und reichlich zu essen hat. Aber wenn sie es könnten, würden sie es vielleicht genauso wie sie machen. Die anderen, vor allem Frauen eines gewissen Alters oder Väter, verübeln ihr ihr Gewerbe.
    Aber es gibt auch welche, bei denen der Fall noch anders liegt.
    Frank weiß es, fühlt es. Und das sind gerade jene, die am wenigsten ihre Gefühle verraten. Sie blicken sie nicht einmal an, tun so, als ob sie gar nicht von ihrer Existenz Notiz nähmen.
    Ist es mit Holst auch so? Gehört er wie der junge Mann mit der Geige einer geheimen Organisation an?
    Das ist unwahrscheinlich. Frank hat es eine Weile geglaubt, seiner Ruhe und seiner äußeren Heiterkeit wegen. Und auch, weil er nicht ein richtiger Straßenbahnfahrer ist, weil man den Intellektuellen in ihm spürt. Vielleicht war er Lehrer, und man hat ihn wegen seiner politischen Ansichten entlassen. Oder er ist freiwillig gegangen, um nicht gegen seine Überzeugung lehren zu müssen.
    Außer zur Arbeit geht er nur aus dem Haus, um sich in einer Schlange anzustellen. Nie besucht ihn und seine Tochter jemand.
    Weiß er schon, daß der Geigenspieler verhaftet worden ist? Er wird es bestimmt erfahren. Der Portier, der darüber im Bilde ist, wird es allen Mietern berichten, außer Lotte und ihrem Sohn.
    Und Hamling sitzt ruhig da, ohne noch etwas zu sagen, zieht wie verträumt an seiner Zigarre und stößt den Rauch gelassen aus.
    Selbst wenn er etwas weiß oder etwas argwöhnt, was kann das Frank schon anhaben? Er wird es nicht wagen, ein Wort verlauten zu lassen.
    Es kommt allein auf Gerhard Holst an, der inzwischen gewiß von seinen Besorgungen zurückgekehrt ist und mit Sissy in der Wohnung gegenüber sitzt.
    Etwas Gemüse, Steckrüben, vielleicht ein winziges Stück ranzigen Speck, wie man ihn hin und wieder auf Karten bekommt.
    Niemand kommt zu ihnen, und sie sprechen mit niemandem. Wovon sprechen sie den ganzen Tag?
    Und Sissy belauert Frank, hebt die Gardine, um ihn in der Straße fortgehen zu sehen, oder sie öffnet ihre Tür einen Spaltbreit, wenn sie sein Pfeifen im Treppenhaus hört.
    Hamling erhebt sich mit einem Seufzer.
    »Noch ein Gläschen?«
    »Nein, danke. Ich muß gehen.«
    Aus der Küche kommt ein verlockender Geruch. Unwillkürlich schnuppert Hamling, als er hinausgeht. Der Duft weht bis ins Treppenhaus hinter ihm her und dringt vielleicht unter der Tür hindurch auch in Hoists Wohnung.
    »Der alte Trottel«, sagt Frank ruhig.
3
    Frank war nur hereingekommen, um nicht auf der Straße warten zu müssen, aber er liebte solche Kneipen nicht. Man stieg zwei Stufen hinunter, und der Boden war mit Fliesen ausgelegt wie in einer Kirche. An der Decke zogen sich alte Balken hin. Die Wände waren mit Täfelungen bedeckt, die Theke war reich

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