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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Essen mitnehmen!
    Frank stellt sich neben ihn, als ob er ebenfalls auf die Straßenbahn wartet. Dann geht er auf und ab und blickt ihn mindestens zehnmal an, wobei er ihm den Zigarettenrauch ins Gesicht bläst. Ob Sissys Vater, wenn Frank den Stummel wegwürfe, ihn aufheben würde? Vielleicht nicht vor ihm, obwohl es viele Leute in der Stadt tun, die weder Bettler noch Arbeiter sind.
    Er hat Holst nie rauchen sehen. Ob er früher einmal geraucht hat?
    Frank ärgert sich über sich selbst. Er kommt sich wie ein kleiner wütender Hund vor, der vergeblich versucht, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er schleicht um die lange graue Gestalt herum, aber Holst scheint von seiner Anwesenheit überhaupt keine Notiz zu nehmen.
    Dennoch hat Holst ihn in der Nacht in der Sackgasse gesehen. Er weiß von der Ermordung des Unteroffiziers. Er weiß auch, das ist mehr als sicher – denn der Portier holt einen der Mieter nach dem anderen in seine Loge –, daß man den Geigenspieler aus dem ersten Stock verhaftet hat.
    Warum reagiert er also nicht? Es würde nicht viel fehlen, und Frank würde ihn, um ihn herauszufordern, ansprechen. Vielleicht hätte er es wirklich getan und irgendein paar Worte gesagt, wenn die dunkelrote Straßenbahn nicht gerade mit ihrem üblichen lauten Geklingel angefahren gekommen wäre.
    Frank steigt nicht ein. Er hat zu dieser Zeit nichts in der Stadt zu tun. Er wollte nur Holst sehen, und er hat ihn in aller Muße betrachten können. Holst, der auf die vordere Plattform gestiegen ist, dreht sich noch einmal um und beugt sich hinaus, als die Straßenbahn abfährt, aber nicht, um ihn anzusehen, sondern um zu seiner Wohnung hinaufzublicken, wo man zwischen den Gardinen den hellen Fleck eines Gesichtes sieht.
    Vater und Tochter sagen sich so auf Wiedersehen. Nachdem die Straßenbahn fort ist, bleibt das Mädchen noch am Fenster stehen, weil Frank auf der Straße ist. Und Frank faßt plötzlich einen Entschluß. Er vermeidet es, hinaufzublicken, geht ins Haus zurück, steigt langsam die Treppen hinauf und klopft ein wenig beklommen an die Tür, die sich genau gegenüber von Lottes Tür befindet.
    Er hat sich nichts überlegt, weiß nicht, was er sagen wird. Er hat nur beschlossen, seinen Fuß gegen den Türrahmen zu setzen, damit die Tür nicht zugemacht werden kann. Aber die Tür schließt sich nicht wieder. Sissy blickt ihn überrascht an, und er ist fast ebenso überrascht wie sie, daß er da vor ihrer Tür steht. Er lächelt. Es kommt nicht oft vor, daß er lächelt. Er runzelt vielmehr meistens die Brauen und blickt düster vor sich hin, selbst wenn er ganz allein ist, oder setzt eine so gleichgültige Miene auf, daß die Menschen sich unwillkürlich in sich zurückziehen.
    »Und doch«, sagt Lotte, »wenn du lächelst, kann man dir nichts abschlagen. Du hast das Lächeln behalten, das du schon mit zwei Jahren hattest.«
    Er lächelt nicht absichtlich, sondern nur aus Verlegenheit. Er kann Sissy schlecht sehen, weil sie gegen das Licht steht, aber auf einem Tisch in der Nähe des Fensters erblickt er kleine Schalen, Pinsel und Farbtöpfe.
    Stumm geht er hinein und sagt dann, ohne daran zu denken, sich zu entschuldigen oder seinen Besuch zu begründen:
    »Malen Sie?«
    »Ich bemale Porzellan. Ich muß doch meinem Vater helfen.«
    Solche Schalen, Tassen, Aschenbecher und Kerzenhalter, sogenanntes Kunstgewerbe, hat er in einigen Läden im Stadtzentrum gesehen. Sie werden vor allem von den Angehörigen der Besatzungsmacht als Andenken gekauft. Es sind Blumen oder eine Bäuerin in Tracht oder der Turm des Doms darauf gemalt.
    Warum sieht sie ihn unverwandt an? Wenn sie das nicht täte, wäre es für ihn leichter. Sie verschlingt ihn geradezu mit den Augen, so naiv, daß es fast peinlich ist. Er muß dabei an Minna, die Neue, denken, die vielleicht gerade beschäftigt ist, und ihn mit einer Art blöden Respektes unaufhörlich angestarrt hat.
    »Arbeiten Sie viel?«
    »Die Tage sind lang.«
    »Gehen Sie nie aus?«
    »Manchmal.«
    »Gehen Sie auch hin und wieder ins Kino?«
    Warum errötet sie? Er machte es sich sofort zunutze.
    »Ich würde gern einmal mit Ihnen ins Kino gehen.«
    Dennoch ist es gar nicht sie, die ihn am meisten interessiert, wie er jetzt merkt. Er blickt um sich. Er schnuppert genauso wie Hamling es bei ihnen getan hat. Die Wohnung ist viel kleiner als Lottes. Man kommt sofort in die Küche, wo ein Klappbett an der Wand steht. Sicherlich schläft ihr Vater darin, und seine Füße ragen

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