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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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wichtigste Tag ist, einen Ersatz für Minna zu finden. Er weiß, wohin er sich wenden muß. Er kennt mehrere Mädchen, die dafür in Frage kommen.
    Aber das alles braucht Zeit. Er ist unaufhörlich beschäftigt, und dennoch ist es, als wollten die beiden Tage kein Ende nehmen.
    Draußen liegt immer noch der schmutzige Schnee, Schneehaufen mit schwarzen Spuren und voller Abfälle. Der weiße Puder, der ab und an wie Gips von einer Decke fällt, vermag diesen Schmutz nicht zuzudecken.
    Frank ist noch einmal mit Sissy ins Kino gegangen. Zu dem Zeitpunkt war zwischen ihm und Kromer alles schon vereinbart und klar. Aber natürlich wußte Sissy nichts davon.
    Am selben Tag hat seine Mutter ihn gefragt: »Gehst du am Sonntag aus?«
    »Wahrscheinlich. Warum?«
    Sie geht jeden Sonntag aus. Ins Kino und dann in eine Konditorei, in der ein Orchester spielt.
    »Glaubst du, daß Berta ihre Eltern besuchen wird?«
    Sonntag ist der Maniküresalon geschlossen. Berta wird bestimmt ihre Eltern besuchen, die auf dem Land wohnen und glauben, sie sei in einem bürgerlichen Haushalt tätig.
    Nur Minna wird in der Wohnung bleiben, dagegen läßt sich nichts machen.
    Im Kino – es war am Freitag – hat Sissy ihn, kaum daß sie Platz genommen hatten, mit der bittenden Miene eines kleinen Mädchens gefragt: »Darf ich das tun, was ich tun möchte?«
    Sie hat ihren Stuhl ein wenig verrückt, hat Franks Arm weggeschoben, ihren Hut abgesetzt und den Kopf an seine Schulter geschmiegt.
    Man hätte meinen können, sie schnurre wie eine Katze, so zufrieden hat sie geseufzt.
    »Sitzt du nicht schlecht? Ist es dir nicht unbequem?«
    Er hat nichts erwidert. Vielleicht hat sie die ganze Zeit die Augen geschlossen gehalten, und diesmal hat er den Film gesehen.
    Er hat sie an jenem Nachmittag nicht angerührt. Es war ihm peinlich, sie zu küssen. Plötzlich hat sie, als sie dicht vor dem Haus waren, ihre Lippen auf die seinen gepreßt, und beim Abschied hat sie ihm rasch zugeflüstert: »Danke, Frank.«
    Es ist zu spät. Es läßt sich alles nicht mehr aufhalten. Am Sonnabend ist die Militärpolizei in der Wohnung des Geigenspielers und seiner Mutter erschienen und hat sie durchsucht. Als sie kamen, war Frank gerade fortgegangen. Bei seiner Rückkehr spürte er schon vor dem Haus, daß dort etwas Ungewöhnliches vor sich ging, ohne sagen zu können, was. In der Haustür stand ein Zivilist neben dem Portier, der versuchte, ganz unbefangen zu sein.
    Im ersten Stock stieß Frank auf mehrere uniformierte Männer, drei oder vier, die die Hausfrauen daran hinderten, in ihre Wohnungen hinaufzugehen und zugleich andere Mieter, die das Haus verlassen wollten, zurückhielten.
    Alle schwiegen. Es war unheimlich. Im Flur sah man noch mehr Uniformen. Die Tür zur Wohnung des Geigenspielers – ob sie ihn zu der Durchsuchung mitgebracht hatten? – stand offen, und man hörte Geräusche, als würden Schranktüren eingeschlagen, und hin und wieder vernahm man die flehende Stimme der alten Frau, die dem Weinen nahe war.
    Frank hat seelenruhig seinen grünen Ausweis gezeigt, den er noch nicht benutzt hatte. Alle haben den Ausweis gesehen; alle wußten, was er bedeutet. Die Soldaten sind zurückgetreten, um ihn vorbeigehen zu lassen, und hinter ihm ist das Schweigen noch drückender geworden.
    Er hat es absichtlich getan. Am Tag zuvor hatte er Minna einen Morgenrock mitgebracht. Er hat ihn nicht in einem Laden gekauft, denn in Läden gibt es schon seit langem keine Morgenröcke mehr aus wattierter Seide. Er hätte sich im übrigen auch gar nicht die Mühe gemacht, in ein Geschäft zu gehen, um ihn zu kaufen.
    Er hat schon das ganze Geld in seinen Taschen gehabt, seinen Anteil für die Uhren, genügend große Scheine, um eine ganz gewöhnliche Familie zu ernähren, sogar zwei oder drei Familien, während Jahren. In einer Ecke bei Timo hat jemand Ware ausgestellt, wie so oft, und Frank hat den Morgenrock gekauft.
    Es war fast, als hätte er ihn für Sissy gekauft, wenn das auch nicht ganz stimmte, da schon alles bis in die kleinsten Einzelheiten beschlossen war. Das läßt sich nicht erklären. Er wollte ihn natürlich Minna schenken, aber dennoch hatte er dabei an Sissy gedacht. Lotte war wütend. Sie sagte, das sähe so aus, als wolle man sich bei ihr für das, was ihr der elende Otto angetan hat, entschuldigen.
    Es ist das erstemal, daß er etwas Persönliches für eine Frau kaufte, und ob das nun verrückt ist oder nicht, Sissy stand dabei im Hintergrund.
    Das alles

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