Der Schnee war schmutzig
nicht, daß sie ihn gerade dadurch noch störrischer macht. Er ist alt genug, um zu wissen, was er tut. Er tut, was er will, und er tut es kaltblütig. Er tritt an diesem Nachmittag sogar ein paarmal vor den Spiegel und betrachtet sich verstohlen darin, um sich zu vergewissern, daß sein Gesicht vollkommen ruhig ist.
Hat er nicht in der Sackgasse Hoists Aufmerksamkeit auf sich gezogen, obwohl das nicht nötig war, und er ohne das keinen Zeugen bei seiner Tat gehabt hätte?
Und hat er etwa bei der alten Vilmos versucht, zu mogeln?
Er will von niemandem bemitleidet werden. Er will von nichts wissen, was nach Mitleid aussehen könnte. Er darf nie so feige werden, daß er sich selbst bemitleidet.
Sie werden das nie verstehen, weder Lotte, noch Minna, noch Sissy. Für Sissy wird es sowieso bald nichts mehr bedeuten.
Woran mag sie die ganze Zeit im Kino gedacht haben, als sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte? Hin und wieder hob sie den Kopf ein wenig und fragte: »Bin ich dir nicht zu schwer?«
Sein Arm war steif geworden, aber er hätte es um keinen Preis eingestanden.
Auch Kromer wird ihn nicht mehr verstehen. Er versteht ihn schon jetzt kaum. Im Grunde ist er ängstlich, obwohl er es nicht zugeben will. Er hat Angst vor allem und jedem. Franks Verhalten bringt ihn in Verwirrung. Kaum hatte er seinen grünen Ausweis in der Tasche und sie hatten die Dienststelle der Militärpolizei verlassen, da hat Kromer ihn gefragt: »Was willst du eigentlich damit?«
Frank hat es Spaß gemacht, ihm zu antworten: »Nichts.«
Aber Kromer glaubt das nicht. Er versucht, Franks Absichten und Pläne zu erraten. Auch in bezug auf Sissy fühlt er sich ziemlich unsicher.
»Hast du sie wirklich nicht angerührt?«
»Nur soviel, um zu wissen, daß sie noch Jungfrau ist.«
»Gefällt dir das nicht?« Und Kromer hat mit einem Zwinkern hinzugefügt: »Du bist eben noch zu jung.«
Kromer war dabei aber so wenig wohl zumute, daß Frank sich an diesem Nachmittag immer wieder fragt, ob er überhaupt kommen wird. Kromer hat Feuer gefangen. Er wird die ganze Nacht an Sissy gedacht und sich in seinem Bett herumgewälzt haben. Er ist aber der Mann, der im letzten Augenblick von Angst gepackt werden kann und dann lieber zu Leonhard oder in eine andere Kneipe geht und sich betrinkt, statt zu der Verabredung zu erscheinen.
»Warum hast du ihr nicht die Wahrheit gesagt?«
»Weil sie dann nicht mitgemacht hätte.«
»Glaubst du, daß sie in dich verliebt ist? Das willst du doch wohl damit sagen.« •
»Vielleicht.«
»Und wenn sie es merkt?«
»Dann wird es vermutlich schon zu spät sein.«
Im Grunde haben sie alle etwas Angst vor ihm, weil er vor nichts mehr zurückschreckt.
»Und wenn ihr Vater plötzlich erschiene?«
»Er kann seine Straßenbahn nicht im Stich lassen.«
Auch am Sonntag fahren Straßenbahnen.
»Und wenn Nachbarn …«
Frank erzählt ihm lieber nicht von Herrn Wimmer, der Bescheid weiß und tatsächlich auf den Gedanken kommen könnte, einzugreifen.
»Sonntags gehen die Nachbarn aus«, hat er selbstsicher geantwortet. »Und notfalls würde sie mein Ausweis zum Schweigen bringen.«
Im allgemeinen trifft das auch zu. Es haben sich jedoch schon Dummköpfe viel geringerer Sachen wegen einsperren lassen, zum Beispiel des Vergnügens wegen, vor Kameraden vorübergehende Soldaten zu beschimpfen. Fast immer waren das Leute in der Art von Herrn Wimmer.
Wimmer hat zu Holst noch nichts gesagt. Vielleicht, weil er ihn nicht beunruhigen will und glaubt, er sei selber schlau genug, um auf Sissy aufpassen zu können. Oder er ist davon überzeugt, daß Sissy brav genug ist, um keine Dummheiten zu machen? So sind eben alte Leute, auch jene, die schon vor der Ehe ein Kind gezeugt haben. Später vergessen sie das.
Minna fängt wieder an, zu stöhnen. Es ist inzwischen dunkel geworden. Er geht zu ihr, knipst ihr die Lampe an, zieht die Vorhänge zu und füllt noch einmal die Wärmeflasche.
Es wäre ihm lieber, wenn sie nicht in der Wohnung wäre und er keinen Zeugen hätte. Aber ist es nicht eigentlich besser, daß es jemand weiß, und zwar jemand, der nichts verraten wird?
»Wird sie kommen?«
Er antwortet nicht. Er hat das Hinterzimmer ausersehen, weil es eine Tür hat, die unmittelbar ins Treppenhaus geht, und weil man es auch von der Küche erreichen kann.
»Wird sie kommen, Frank?«
Das ist eine Geschmacklosigkeit. Vor seiner Mutter nennt sie ihn: Herr Frank. Es ärgert ihn, daß sie sich vertraulicher benimmt, wenn
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