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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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anzuziehen. Schließlich stößt er die Tür auf.
    »Na, mein Lieber, da hast du mir ja was Schönes eingebrockt.«
    Frank rührt sich nicht.
    »Was hast du?«
    »Nichts.«
    »Wenn du mir gesagt hättest, daß sich ein Lichtschalter am Kopfende des Bettes befindet, wäre das nicht passiert.«
    Frank rührt sich immer noch nicht.
    »Ich habe mich gehütet, ihr zu antworten. Ich spürte, daß sie im Dunkeln nach etwas tastete, aber ich dachte nicht, daß sie Licht machen würde.«
    Frank hat sich die Frage nicht gestellt. Seine Augen sind ganz klein, sein Blick so hart, daß Kromer Angst bekommt und sich einen Augenblick fragt, ob er nicht in eine Falle gegangen ist.
    Aber das kann ja gar nicht sein.
    »Jedenfalls kannst du dich rühmen …«
    Minna kommt zurück und macht Licht. Ein grelles weißes Licht fällt den beiden Männern in die Augen, und sie können nur noch blinzeln.
    »Sie ist wie eine Verrückte hinuntergelaufen und hat gar nicht versucht, in ihre Wohnung zu gehen. Ein Nachbar, Herr Wimmer, wollte sie im Vorbeigehen festhalten. Ich wette, sie hat ihn nicht einmal gesehen.«
    Es ist also geschehen.
    Kromer kann gehen. Aber ihm ist weich in den Knien. Er denkt nicht daran, zu gehen. Er ist wütend.
    »Wann sehe ich dich?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Kommst du heute abend zu Timo?«
    »Vielleicht.«
    Sie ist fortgelaufen, und Wimmer hat versucht, sie festzuhalten. Sie ist die Treppe hinuntergerast.
    »Sag mal, kleiner Frank, ich glaube, du …«
    Zum Glück hält Kromer inne. Frank ist für niemand mehr der kleine Frank. Er ist es nie gewesen. Sie haben sich alles nur eingebildet, alles, was sie wollten, eingebildet.
    Jetzt ist er ein Mann geworden und hat dafür bezahlt.
    Mit dem abwesenden Blick jemandes, der nicht zugehört hat, fragt er: »Was?«
    »Was meinst du?«
    »Nichts. Ich frage dich: was?«
    »Und ich habe dich gefragt, ob ich dich heute abend bei Timo sehe?«
    »Und ich antworte: was?«
    Er hält es nicht mehr aus. Der Schmerz auf seiner linken Brustseite wird unerträglich, als ob er sterben müßte.
    »Also, mein Lieber …«
    »Ja, geh.«
    Schnell sich hinsetzen, sich hinlegen. Der andere soll gehen. Er soll Timo und seinen Freunden erzählen, was er will.
    Frank hat getan, was er wollte. Er ist über den Berg. Er hat die andere Seite gesehen. Er hat nicht gesehen, was er erwartet hatte.
    Aber darauf kommt es gar nicht an.
    Kromer soll gehen. Zum Teufel, er soll gehen!
    »Worauf wartest du noch?«
    »Aber …«
    Minna, die in das kleine Zimmer gegangen ist, die sich das nie hätte erlauben dürfen, die all das nicht begreifen kann, kommt mit einem schwarzen Strumpf in jeder Hand zurück.
    Sissy ist ohne Strümpfe in ihren Schuhen davongerannt. Kromer begreift auch nichts. Wenn die beiden da stehenbleiben, wird er verrückt, wird er sich auf den Boden werfen und in irgend etwas hineinbeißen.
    »Hau ab. In Gottes Namen, hau ab.«
    Merkt denn niemand, daß er jetzt auf der anderen Seite steht und mit ihnen nichts mehr gemeinsam hat?
2
    Im Garten von Frau Porse, seiner Pflegemutter, stand ein einziger Baum, eine große Linde. Eines Tages, als es schon zu dämmern begann und der tiefhängende Himmel alles zu erdrücken und allmählich zu verschlingen schien, hatte der Hund angeschlagen, und man hatte in der Linde eine fremde Katze entdeckt.
    Es war Winter. Die Regentonne unter der Wasserrinne war zugefroren. Hinter dem Haus sah man, wie im Dorf eine Lampe nach der anderen anging.
    Die Katze saß auf dem untersten Ast, etwa vier bis fünf Meter über dem Boden, und starrte hinab. Sie war schwarzweiß und gehörte niemandem im Dorf. Frau Porse kannte alle Katzen.
    Als der Hund bellte, hatte man gerade die Wanne mit warmem Wasser gefüllt, um Frank zu baden. In Wirklichkeit war es keine Wanne, sondern ein Faß, das man in der Mitte durchgesägt hatte.
    Die Fensterscheiben waren beschlagen. Man hörte im Garten Herrn Porse, der Straßenarbeiter war, in sehr bestimmtem Ton – den er stets hatte, besonders, wenn er angetrunken war, was bei ihm häufig vorkam – sagen: »Ich werde sie mit dem Gewehr erschießen.«
    Frank hatte das Wort Gewehr gehört. Das Jagdgewehr hing an der weißgetünchten Wand über dem Kamin. Frank, der schon halb ausgezogen war, hatte sich Hose und Jacke wieder übergestreift.
    »Versuch doch zuerst einmal, sie zu fangen. Vielleicht ist sie gar nicht so sehr verletzt.«
    Man sah in der Dämmerung noch genug, um rote Flecke auf den weißen Teilen des Fells wahrzunehmen, und ein

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