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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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sie allein sind. Nervös antwortet er: »Das geht dich gar nichts an.«
    Sie scheint ihn um Verzeihung bitten zu wollen, aber gleich darauf kann sie nicht umhin zu fragen: »Ist es das erstemal?«
    Nein, das geht denn doch zu weit. Bitte, keine Rührung. Er verabscheut dieses Mitleid der Huren für junge Mädchen, die das noch nicht durchgemacht haben. Womöglich empfiehlt sie ihm auch noch, Sissy nicht weh zu tun.
    Zum Glück hat Kromer geschellt. Er ist also doch gekommen, sogar zehn Minuten zu früh, und das ist Frank unangenehm, denn er hat keine Lust, sich zu unterhalten. Kromer kommt gerade aus der Badewanne. Seine zu rosige und straffe Haut riecht nach Hure.
    »Bist du allein?«
    »Nein.«
    »Ist deine Mutter da?«
    »Nein.«
    Und absichtlich laut fügt Frank hinzu: »Nebenan liegt ein Mädchen, das ein Kerl am Unterleib verletzt hat.«
    Beinahe würde Kromer den Rückzug antreten, aber Frank hat wohlweislich die Tür hinter ihm abgeschlossen.
    »Komm herein. Nur keine Angst. Leg deinen Pelz ab.«
    Mit Verachtung stellt er fest, daß Kromer nicht seine gewohnte Zigarre raucht, sondern Tabak kaut.
    »Was willst du trinken?«
    Er möchte nichts trinken, weil er fürchtet, dann nicht fit genug zu sein.
    »Komm in die Küche. Dort wirst du warten. Bei uns ist die Küche das Allerheiligste.«
    Frank grinst wie jemand, der getrunken hat, obwohl der Schnaps, mit dem er mit Kromer anstößt, sein erster an diesem Tag ist. Zum Glück ahnt sein Freund davon nichts, er hätte sonst noch viel mehr Angst.
    »Es wird alles ablaufen, wie ich es dir gesagt habe.«
    »Und wenn sie Licht macht?«
    »Hast du schon mal erlebt, daß ein Mädchen dabei Licht macht?«
    »Und wenn sie zu mir spricht und ich nicht antworte?«
    »Die wird kein Wort sagen.«
    Selbst diese zehn Minuten verstreichen langsam. Frank verfolgt sie auf dem Zifferblatt des Weckers auf dem Ofen.
    »Präg dir den Weg genau ein, damit du ihn in der Dunkelheit findest. Komm mit. Hier steht das Bett. Hinter der Tür mußt du also scharf rechts gehen.«
    »Ja.«
    Kromer muß noch einen heben, sonst macht er schlapp. Er darf aber um keinen Preis schlappmachen, denn Frank hat das Ganze bis in jede Einzelheit inszeniert.
    Es läßt sich nicht erklären, und es hat keinen Zweck, zu versuchen, es jemandem begreiflich zu machen: es muß sein. Danach wird er wieder seine Ruhe finden.
    »Du weißt also Bescheid?«
    »Ja.«
    »Gleich hinter der Tür scharf rechts.«
    »Ja.«
    »Ich mache das Licht aus.«
    »Aber du, wo bleibst du?«
    »Hier.«
    »Schwörst du mir, daß du nicht weggehen wirst?«
    Noch vor zehn Tagen hatte er Kromer als den älteren und stärkeren angesehen, kurz als einen Mann, während er sich selbst noch für ein Kind hielt.
    »Was machst du soviel Theater?« sagt er höhnisch, um den anderen in seiner Absicht zu bestärken.
    »Es geht dabei nur um dich, mein Lieber. Ich kenne das Haus nicht. Ich will nur vermeiden …«
    »Pst, sei still.«
    Sie ist wie eine Maus hereingehuscht. In diesem Augenblick war Frank so hellhörig, daß er vernahm, wie Minna leise aufstand und barfuß in ihrem schönen Morgenrock zur Tür schlich und horchte. Minna hat also in ihrem Bett gehört, wie sich die Tür bei Holst öffnete und wieder schloß. Sie ist zweifellos deshalb zur Tür gegangen, weil sie dann keine Schritte im Treppenhaus hörte wie gewöhnlich.
    Wer weiß? Alles ist möglich. Minna hat vielleicht eine andere Tür gesehen, die nicht ganz geschlossen war, die Tür des alten Wimmer. Frank ist davon überzeugt, daß der alte Wimmer auf der Lauer liegt.
    Aber das weiß Minna nicht. Bei schärferem Nachdenken wird es Frank zur Gewißheit, daß sie es nicht weiß, denn sie hätte viel zuviel Angst um ihn und würde ihn sofort warnen.
    Sissy ist durch den Flur gekommen, und ihre Füße haben dabei kaum den holprigen Fußboden berührt. Sie hat ganz leise angeklopft.
    Frank hatte das Licht schon ausgemacht. Wenn sie laut gesprochen hätten, hätte Kromer sie in der Küche hören können.
    Sie hat nur gesagt: »Da bin ich.«
    Und dann ist sie ihm in die Arme gesunken.
    »Du hast mich darum gebeten, Frank.«
    »Ja.«
    Er hat die Tür hinter ihr abgeschlossen, aber die Küchentür, die sie im Dunkeln nicht sehen konnte, ist offengeblieben.
    »Willst du es immer noch?«
    Sie konnten nichts sehen, nur einen schwachen Widerschein der Gaslaterne zwischen den Vorhängen.
    »Ich will es.«
    Er brauchte sie nicht auszuziehen. Er fing nur damit an, dann tat sie es allein weiter,

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