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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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zwar nicht, aber die Heizkörper sind vorhanden.
    Man darf nicht vergessen, daß man Frank nicht in ein richtiges Gefängnis, sondern in eine Schule gesteckt hat, in ein Gymnasium, das nach dem, was er davon gesehen hat, ziemlich vornehm gewesen sein muß.
    Seine Nachbarn haben ihm sofort Botschaften geschickt. Wozu? Er ist nicht so auf den Kopf gefallen, um sich nicht dessen bewußt zu sein, daß man ihn bevorzugt behandelt. Wie viele Gefangene sind rechts nebenan? Mindestens zehn, soweit er es beurteilen kann. Nach ihrer Aussprache – er fängt manchmal ein paar Worte auf, wenn sie durch den Gang gehen – sind sie vor allem aus dem Volk und vom Land.
    Wahrscheinlich das, was die Zeitungen Saboteure nennen. Echte oder falsche oder ein Gemisch von falschen und echten.
    Er wird ihnen aber nicht auf den Leim kriechen.
    Man hat ihn nicht geschlagen. Man war höflich zu ihm. Man hat zwar seine Taschen durchsucht, aber dabei die Formen gewahrt. Man hat ihm alles abgenommen, seine Zigaretten, sein Feuerzeug, seine Brieftasche, seine Papiere, sogar seinen Gürtel, seine Krawatte und seine Schuhbänder. Währenddessen füllte der Chef mit abwesender Miene weiter das Formular aus, und als er damit fertig war, hat er ihm das Blatt und einen Federhalter gereicht, auf eine punktierte Zeile gedeutet und fast ohne Akzent gesagt: »Unterschreiben Sie hier.«
    Er hat unterschrieben. Er hat nicht überlegt. Er hat mechanisch unterschrieben. Er weiß nicht, was er unterschrieben hat. War es ein Fehler, daß er es getan hat? Hat er ihnen nicht im Gegenteil damit bewiesen, daß er sich nichts vorzuwerfen hat? Nicht aus Angst vor Schlägen hat er unterschrieben, sondern weil er wußte, daß das eine unerläßliche Formalität war und daß es keinen Zweck haben würde, sich dagegen aufzulehnen.
    Auch darüber hat er viel nachgedacht, und er bedauert nichts. Wenn er überhaupt etwas bedauert, dann nur das eine, daß er den Mund aufgemacht und gesagt hat: »Ich möchte …«
    Er hat keine Zeit gehabt, mehr zu sagen. Der Chef hat den anderen einen Wink gegeben, und man hat ihn durch einen zweiten Hof geführt, der gepflastert zu sein schien, soweit er das unter dem Schnee hat erkennen können. Was hatte er sagen wollen? Hatte er um einen Rechtsanwalt bitten wollen? Gewiß nicht. So einfältig ist er nicht. Hatte er seiner Mutter Nachricht geben, den Namen des Generals verraten, Kromer oder Timo oder Ressl benachrichtigen wollen, der sich bei Taste an ihn erinnert und ihm zugewinkt hat? Es ist sehr gut, daß er nicht die Zeit gehabt hat, seinen Satz zu Ende zu sprechen. Man muß es sich abgewöhnen, unnütze Worte zu sagen.
    Er wußte noch nicht, daß alles, was er sah, seine Bedeutung hatte und jeden Tag eine größere Bedeutung haben sollte. Man denkt: Eine Schule? – und hat ein fertiges Bild im Kopf.
    Dabei können in gewissen Fällen die geringsten Einzelheiten eines Tages so wertvoll werden, daß man sich ärgert, nicht besser hingesehen zu haben.
    Ein großer Innenhof, der ihm um so größer erschienen ist, als er in diesem Augenblick von Sonne überflutet war. Ein langgestrecktes Gebäude mit zwei Stockwerken aus neuen Ziegeln, das im Inneren keine Treppe zu haben scheint, denn wie auf einem Schiff sieht man draußen Eisentreppen und balkonartige Gänge, die Kommandobrücken ähneln und von denen man alle Klassenzimmer erreicht.
    Wieviel Klassenzimmer sind es? Er weiß es nicht. Das Ganze kam ihm riesengroß vor. Auf der anderen Seite des Hofes steht ein weiteres Gebäude: die Aula oder Turnhalle mit hohen Fenstern wie in einer Kirche. Es erinnert ein wenig an die Gerberei. Und dann gibt es da den überdachten Teil des Schulhofs – mit schwarzen Holzbänken, Pulten und dem ganzen Schulmobiliar, das bis zum Dach gestapelt ist –, den er seit achtzehn Tagen vor Augen hat.
    An den Fenstern befinden sich zwar Eisenstäbe, aber es ist trotzdem kein richtiges Gefängnis. Man sieht sozusagen keinen Wächter. Nur zwei Soldaten mit Maschinenpistolen hat Frank im Vorübergehen auf dem Hof erblickt.
    Nachts wird das Ganze etwas eindrucksvoller, wenn die Scheinwerfer die Gebäude anstrahlen.
    Da die Fenster keine Läden haben, hindert das Licht einen am Schlafen oder weckt einen plötzlich auf. Wahrscheinlich sieht man darum keine Wächter, weil sich auf dem Dach ein Wachturm befinden muß, von dem die Scheinwerfer ausstrahlen und wo auch Maschinengewehre postiert sind. Zu bestimmten Zeiten hört man Schritte auf einer eisernen Treppe, die

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