Der Schnee war schmutzig
bringt, Eichelkaffee ohne Zucker und ein Stückchen klitschiges Brot.
Da würde sich die blöde Kuh Berta freuen! Dennoch hat er sich daran gewöhnt. Er trinkt den Kaffee bis zum letzten Tropfen und ißt alles auf. Er wird sich nicht kleinkriegen lassen. Schon am ersten Tag hat er sich das vorgenommen.
Erst zu einer bestimmten Zeit gestattet er sich, an dieses oder jenes zu denken. Er hat eine ganze Tabelle im Kopf. Es ist bisweilen schwierig, den Stundenplan einzuhalten. Die Gedanken haben die Neigung, sich miteinander zu vermengen. Um sich zu entspannen, starrt er auf eine schwarze Stelle ziemlich hoch an der Wand, wo gewiß, als dies noch eine Schule war, das Kruzifix gehangen hat.
Berta ist eine dumme Hure …
Aber sie ist noch nicht an der Reihe. Weil die Zeit noch nicht gekommen ist, da er über die Rue Verte nachdenkt, fährt er mit seinen Überlegungen dort fort, wo er am Tag zuvor aufgehört hat.
Manchmal muß er an Sissy und Holst denken. Sissy, zum Beispiel, kommt, um die Handtasche mit dem Schlüssel aufzuheben, während er in Wirklichkeit doch gar nicht weiß, ob sie sie aufgehoben, ja, nicht einmal, ob sie ihn gesehen hat. Und Holst ist sozusagen für ihn der Feind Nummer eins geworden. Sein Bild drängt sich ihm am häufigsten auf. Er sieht ihn in seinen grauen Filzstiefeln, seinem Überzieher und mit seiner Blechbüchse.
Aber das Seltsame ist, daß Frank sich sein Gesicht nicht vorstellen kann. Es ist nur ein Fleck, genauer gesagt, ein Ausdruck.
Was drückt es aus? Wenn Frank nicht aufpaßt, denkt er minutenlang darüber nach, viel zu lange jedenfalls, denn er hat hier nichts, um die Minuten zählen zu können. Wenn es unbedingt nötig wäre, müßte er sich den Puls fühlen, um die Zeit zu messen.
Wie soll man den Blick bezeichnen, den sie gewechselt haben, als Holst am Fenster stand und Frank auf die Straßenbahn wartete?
Gibt es überhaupt ein Wort dafür? Nun, auch für Hoists Ausdruck gibt es keine Bezeichnung. Er ist ein Geheimnis, ein Rätsel. Und wenn man sich in Franks Lage befindet, darf man nicht über Rätsel grübeln, selbst wenn einem das im Augenblick wohltuend erscheinen mag.
Man muß die Fragen eine nach der anderen vornehmen, unermüdlich sich dabei bemühend, kühl und klar zu bleiben, sich nicht von der Gefangenenmentalität übermannen lassen.
Da war dieses. Da hat sich jenes zugetragen. Der und der können so und so gehandelt haben. Man darf nichts außer acht lassen, weder eine Einzelheit noch einen Menschen. Den ganzen Tag behält Frank seinen Mantel an, hat den Kragen hochgeschlagen und den Hut auf dem Kopf. Und die meiste Zeit sitzt er auf dem Rand seines Bettes. Man leert seinen Kübel nur einmal am Tag, und der Kübel hat keinen Deckel.
Warum kommt ein anderer Gefangener herein, um seinen Eimer zu leeren? Warum nimmt Frank nicht an dem Spaziergang teil, während mindestens drei von den Nachbarn aus dem Zimmer links nebenan es tun?
Er hat keine Lust, im Kreise auf dem Hof umherzugehen. Er sieht sie nicht, er hört sie nur. Er hat zu nichts Lust. Er beklagt sich nicht. Er hat nie versucht, seine Wächter zu rühren oder zu erweichen, die fast jeden Tag wechseln, und er bittet nicht weinerlich, wie es andere sicherlich tun, um eine Zigarette oder nur darum, einmal an ihrer ziehen zu dürfen.
Da war dies, und da war das. Und da war Frank.
Die Nachbarn aus der Grüngasse, Kromer, Timo, Berta, Holst, Sissy, Kamp, der alte Wimmer, der Geigenspieler, Karl Adler, der Blonde aus dem zweiten Stock und sogar Ressl und Kropetzki. Man darf niemanden auslassen. Er hat weder Papier noch Bleistift, aber er hält seine Liste auf dem laufenden. Er ist unermüdlich und vermerkt am Rande alles, was von Belang sein könnte, so nebensächlich es auch erscheint.
Da war Frank …
Es ist nicht Hoists Gesicht, sondern vielmehr Hoists Ausdruck, der ihn von der Aufgabe ablenken wird, die er sich gestellt hat.
Sissy ist wahrscheinlich wieder gesund.
Genesen oder gestorben.
Wichtig ist die Liste. Wichtig ist, daß er nachdenkt, daß er nichts vergißt und darauf achtet, den Dingen nicht mehr Bedeutung beizumessen, als sie haben.
Da war Frank, Lottes Sohn …
Das erinnert ihn an die Bibel, und er lächelt verächtlich, weil es einem Kalauer ähnelt. Er ist nicht ins Gefängnis gekommen, um Kalauer zu machen.
Übrigens hat man ihn nicht in ein Gefängnis gesteckt, sondern in eine Schule, und das muß eine Bedeutung haben.
5
Der neunzehnte Tag.
Man hat ihn nicht in ein Gefängnis,
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