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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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er einen neuen Namen fallen läßt, hat er es völlig unerwartet getan. Er hat nicht ihren Familiennamen genannt. Man hätte glauben können, er sei Stammkunde bei Lotte oder ein Mann wie Hamling, für den Lottes Geschäfte kein Geheimnis sind.
    »Warum hat Berta Sie verlassen?«
    Frank hat gelernt, wie man Zeit gewinnt. Ist er nicht allein deshalb hier?
    »Sie hat mich nicht verlassen. Sie hat meine Mutter verlassen.«
    »Das ist das gleiche.«
    »Nein. Ich habe mich nie um die Angelegenheiten meiner Mutter gekümmert.«
    »Aber Sie haben mit Berta geschlafen.«
    Sie wissen alles. Gott weiß, wieviel Menschen sie schon vernommen haben, um all das zu erfahren, was sie nun wissen. Gott weiß, wie viele Stunden und Verhöre dafür nötig gewesen sind.
    »Sie haben mit Berta geschlafen, nicht wahr?«
    »Es ist vorgekommen.«
    »Oft?«
    »Ich weiß nicht, was Sie unter oft verstehen.«
    »Einmal, zweimal, dreimal in der Woche?«
    »Es ist schwer zu sagen. Es kam darauf an.«
    »Liebten Sie sie?«
    »Nein.«
    »Aber Sie schliefen mit ihr?«
    »Gelegentlich.«
    »Und Sie sprachen mit ihr?«
    »Nein.«
    »Sie schliefen mit ihr und sprachen nicht mit ihr?«
    Wenn man ihm mit solchen Themen kommt, würde er am liebsten mit einer unflätigen Bemerkung antworten wie in der Schule. Aber man sagt nichts Unflätiges zu seinem Lehrer und auch nicht zu seinem Chef. Der spielt nicht, um sich aufzuregen.
    »Sagen wir, ich sprach möglichst wenig.«
    »Das heißt …«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Kam es nicht vor, daß Sie sich mit ihr über das unterhielten, was Sie während des Tages getan hatten?«
    »Nein.«
    »Hat sie Sie auch nicht danach gefragt?«
    »Nein, nie.«
    »Sprachen Sie nicht mit ihr über die Männer, die mit ihr schliefen?«
    »Ich war nicht eifersüchtig.«
    Das ist der Ton. Man muß nur bedenken, daß der Chef seine Worte sorgfältig wählt, sie genau prüft, bevor er sie ausspricht, was Zeit erfordert. Sein riesiger Schreibtisch hat viele Schubladen. Er ist mit Zetteln bedeckt, die ganz harmlos aussehen und die er in einem bestimmten Augenblick, je nach Bedarf, hier oder dort herauszieht, um einen Blick darauf zu werfen.
    Frank kennt diese Zettel. Es gibt hier keinen Schreiber. Niemand nimmt seine Antworten zu Protokoll. Die beiden Männer, die die ganze Zeit an der Tür stehen, haben weder Füllfederhalter noch Bleistift. Es würde Frank nicht übermäßig wundern, wenn sie gar nicht schreiben könnten.
    Nur der Chef schreibt, immer auf Zettel, auf Fetzen von alten Umschlägen, auf den unteren Rand von Briefen oder Rundschreiben, den er sorgfältig abschneidet. Er hat eine winzige Schrift, die für jeden anderen unleserlich sein muß.
    Wenn in den Schubfächern des Schreibtischs ein Zettel über Berta vorhanden ist, dann bedeutet das, daß das dicke Mädchen verhört worden ist. Soll er es sich so deuten? Manchmal, wenn er hereinkommt, schnuppert Frank nach Gerüchen, nach Spuren von jemand, den man in seiner Abwesenheit vielleicht vorgeladen hat.
    »Ihre Mutter empfing Offiziere und Beamte.«
    »Das ist möglich.«
    »Befanden Sie sich während dieser Besuche oft in der Wohnung?«
    »Das wird wohl vorgekommen sein.«
    »Sie sind jung und neugierig.«
    »Ich bin jung, aber ich bin nicht neugierig und jedenfalls nicht lasterhaft.«
    »Sie haben Freunde und Bekannte. Es könnte sehr interessant sein, zu erfahren, was diese Offiziere sagen und tun.«
    »Für mich nicht.«
    »Ihre Freundin Berta …«
    »Sie war nicht meine Freundin.«
    »Sie ist es nicht mehr, da sie Sie und Ihre Mutter verlassen hat. Ich möchte wissen, warum. Ich möchte auch wissen, warum man an jenem Tag eine Auseinandersetzung in Ihrer Wohnung gehört hat, die so laut war, daß die Nachbarn sich darüber aufgeregt haben.«
    Welche Nachbarn? Wen hat man vernommen? Er denkt an den alten Wimmer, glaubt aber nicht, daß der etwas davon gesagt hat.
    »Es ist merkwürdig, daß Berta, die, wie Ihre Mutter sagt, sozusagen zur Familie gehörte, sie gerade in diesem Augenblick verlassen hat.«
    Hat er ihm absichtlich zu verstehen gegeben, daß Lotte verhört worden ist? Frank läßt sich davon nicht rühren.
    »Berta war für Ihre Mama sehr wertvoll.« Er weiß nicht, daß Frank seine Mutter nie so genannt hat, daß man eine Lotte nicht Mama nennt. »Ich weiß nicht mehr, wer gesagt hat« – er tut so, als suche er unter seinen Zetteln –, »sie sei stark wie ein Pferd.«
    »Wie eine Stute.«
    »Ja, wie eine Stute. Wir werden darauf noch einmal

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