Der Schneesturm
die Kaube niedergehen.
Die Pferde prusteten, der Rotschimmel wieherte durchdringend. Andere fielen ein.
»Nich unnötig erschrecken, die Tiere!«, maulte der Krächz. »Bin froh, dass meine Pferdis nich scheun.«
Er zog die Zügel an, schmatzte und schnalzte. »Ko-ommt! Ko-o-ommt!«, rief er.
Schwerfällig setzte sich das Mobil in Bewegung. DerKrächz, eine Hand am Lenkscheit, die andere gegen die Kaube gestemmt, schob. Der Doktor legte sich gegen die Rückwand.
Das Mobil fuhr. Der Krächz lenkte, blieb aber bald wieder stehen.
»Man sieht nich die Bohne!«, sagte er, sich das Gesicht reibend. »Wenn Ihr vielleicht in meinen Stapfen vorausgehn könntet, der Herr? Ich weiß sonst nich, wohin lenken.«
Der Doktor ging nach vorn und trat in die vom Krächz hinterlassene Spur, die im Nu wieder zugeweht war. Der Wind blies dem Doktor ins Gesicht. Erst verlief die Spur gerade, dann wich sie immer weiter nach rechts ab, zog beinahe einen Kreis, wie es dem Doktor schien.
»Kosma!«, brüllte der Doktor, das Gesicht gegen den Wind schirmend. »Die Spur führt wieder zurück!«
»Da bin ich vorhin fehlgangen!«, brüllte der Krächz zurück. »Halt dich links, versuch, gradaus zu gehn!«
Der Doktor hielt sich links und steckte auf einmal bis zur Hüfte im Schnee. Es fehlte nicht viel, und das Mobil wäre auf ihn gefahren, der Krächz stoppte die Pferde im letzten Moment und half dem fluchenden und ächzenden Doktor aus der mit Schnee gefüllten Kuhle, in die er geraten war.
»Das hat mir noch gefehlt, verdammt!«, brummte der Doktor.
Der Wind, als wollte er spotten, sandte eine Böe, bewarf sie mit Schnee.
»Nein, so was!«, schnaufte der Doktor, auf den Krächz gestützt.
»Da hat der Leibhaftige dich ringeschubst!«, brüllte der Krächz dicht an seinem Ohr. »Mach, dass du hinkommst, solang die Spur noch zu sehn iss! Da vorne muss sie sein!«
Entschlossen stapfte der Doktor los, die Knie bei jedem Schritt hochreißend, die Füße aus dem Schnee zerrend. Das Mobil kam hinterhergekrochen.
Die Augen hinter dem schneeverklebten Kneifer weit aufgerissen, arbeitete der Doktor sich vorwärts. Zuletzt, als die Kräfte ihn zu verlassen drohten und der lange Parka wie ein Kettenpanzer auf seinen Schultern zu lasten schien, bemerkte er die fast vollständig verwehte Kufenspur.
»Da ist sie!«, rief er, bekam prompt Schnee in den Mund und musste, gegen den Wind gelehnt, abhusten.
Der Krächz hatte verstanden und lenkte das Mobil in die gewiesene Richtung. Bald darauf waren sie wieder auf der Straße.
»Na, Gott sei Dank!«, sagte der Krächz und schlug ein Kreuz, als das Mobil wieder auf festem Schneeboden glitt. »Aufgesessen, der Herr!«
Schwer atmend, ließ der Doktor sich auf den Bock fallen, kippte gegen die Lehne, außerstande, sich auch noch unter das Fell zu wühlen. Seine Stiefel waren voller Schnee, er spürte die Nässe an den Füßen, doch sich hinabzubeugen, die Stiefel auszuziehen und den Schnee herauszuschütteln ging über seine Kräfte. Der Krächz deckte das Fell über ihn.
»Wir warten mal noch ein Momentchen, damit dass die Pferdis verschnaufen.«
So standen sie.
Um sie her heulte der Sturm. Blies mit solcher Kraft, dass das Mobil davon ins Schaukeln kam, schwankte und ruckte wie ein lebendiges Wesen. Fegte jedoch auch den Schnee von der Straße, man sah sie nun wieder besser, ein verharschter, festgefahrener Streifen.
Der Doktor hätte gern eine Zigarette geraucht, doch das geliebte Etui hervorzukramen fehlte die Kraft. Wieerstarrt saß er da, die blau gefrorene Nase zwischen Mütze und Kragen hervorstreckend – mit dem einen sehnlichen Wunsch, diese fauchende, feindliche weiße Wildnis, die partout einen Schneehaufen aus ihm machen wollte, der alles Wollen und Wünschen für immer aufgab, so schnell wie möglich zu verlassen. Er konnte sich an so manche winterliche Ausfahrt zu Patienten erinnern, doch nicht an ein solches Wetter, einen solchen Widerstand der Naturgewalten. Vor drei Jahren war er mit einer Postkutsche in die Irre gefahren, sie hatten am Lagerfeuer übernachten müssen, waren dann aber von einem Fuhrwerk bemerkt worden, das zu Hilfe kam; ein andermal war er des Winters ins falsche Dorf und somit an die sechs Werst umsonst gefahren. Aber solch einen Schneesturm erlebte er zum ersten Mal.
Der Krächz, nicht minder erschöpft als der Doktor, war neben ihm eingenickt. Im Halbschlaf fiel ihm ein, dass er den Buben vom Stationsvorsteher vor der Abreise die Ofenklappe zu
Weitere Kostenlose Bücher