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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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ihm.
    »Hübsches Wäldchen, sag ich.«
    »Stimmt. Da freut sich die Axt.«
    »Warum gleich die Axt?«, lachte der Doktor. »Ich meine, es ist hübsch, wie es da steht.«

    »Stimmt. Aber lange stehts da nich mehr, dann wirds abgeholzt.«
    Es hatte wieder zu schneien begonnen. Erst ganz sachte, doch als sie aus dem Wäldchen heraus waren, in großen, dichten Flocken.
    »Na, wer sagts denn!«, lachte der Krächz.
    Die Straße führte über freies Feld, doch weit und breit keine Wegstangen. Auch Kufenspuren – Fehlanzeige. Eine glatte weiße Ebene, die sich im Schneegestöber verlor. Hie und da ragten ein paar dürre Stauden aus dem Schnee und selten einmal ein Gebüsch.
    Sie waren eine halbe Werst gefahren, da gerieten sie von der Straße ab, und das Mobil versank im tiefen Schnee.
    »Brrr!«, machte der Krächz und straffte die Zügel.
    Die Pferde blieben stehen.
    »Ich geh nachsehn, wo die Straße iss«, sagte der Krächz. Stieg ab, nahm die Peitsche und lief zurück.
    Der Doktor blieb allein im Mobil sitzen. Es schneite so stet und so dicht, als hätte es nie eine Pause gegeben. Die Pferde in der Kaube schnaubten und scharrten mit den kleinen Hufen.
    An die zehn Minuten vergingen, dann kehrte der Krächz zurück.
    »Ich hab sie!«
    Er wendete das Gefährt, richtete es auf seine Fußspuren und lief mit ausladenden Schritten nebenher durch den tiefen Schnee.
    So fanden sie zurück auf die Straße. Wobei der Doktor nicht hätte sagen können, dass sie es war; der Fuhrmann konnte es anscheinend erkennen.
    »Gar zu geschwinde sollten wir nich fahrn, der Herr, sonst sind wir eins, zwei wieder runter!«, rief der Krächz, sich den Schnee aus dem Gesicht wischend.

    »Das überlasse ich dir«, erwiderte der Doktor. »Was macht die Kufe?«
    »Hält. Hab Nägel reingehaun.«
    Der Doktor nickte beifällig.
    Gemächlich setzten sie ihre Fahrt fort. Der Krächz lenkte, angestrengt nach vorne schauend. Es schneite und schneite, der Wind wurde stärker, kam nun von vorn. Fuhrmann und Fahrgast mussten Schutz suchen.
    Der Doktor saß da mit hochgeschlagenem Kragen, das Bärenfell bis unter die Augen gezogen. Der Schnee kroch unter den Kneifer, in die Augen, in die Nase.
    Verflucht!, dachte der Doktor. Wieso stellen die keine Stangen an die Straße … Kriminell, wenn man es recht bedenkt … Keiner scheint es nötig zu haben, weder das Wegeamt noch die Wald- und Feldhüter … kann doch kein Problem sein, im Herbst einen Wagen voll Stangen zu schneiden und längs der Straßen alle halbe Werst, besser natürlich noch öfter, eine einzuschlagen, damit die Leute hier im Winter getrost durchfahren können … Das ist eine Sauerei … Eine gehörige Sauerei ist das …
    Das weite Feld vor ihnen nahm kein Ende, so als gäbe es auf Erden nichts als diese kahlen Büsche und das dürre Steppengras.
    »Bis Stary Possad kämpfen wir uns durch, dann wirds leichter!«, rief der Krächz.
    Woran er bloß diese Straße erkennt?, wunderte sich der Doktor im Stillen, während er vor dem Schneetreiben noch tiefer ins Fell rutschte. Reiner Instinkt, anscheinend. Ein Profi …
    Es dauerte freilich nicht lange, da waren sie wieder von der Straße abgekommen.
    »Potzdonner«, fluchte der Krächz und saß ab. Lief zurück, mit der Knute im Schnee stochernd.
    Der Doktor saß da wie ein Schneemann und ließ sicheinschneien; nur Nase und Kneifer wischte er ab von Zeit zu Zeit.
    Diesmal blieb der Krächz länger weg; dreimal hatte der Doktor sich schon gefragt, ob er nicht den Revolver aus einer der Taschen holen und damit in die Luft schießen sollte.
    Vollkommen erschöpft kehrte der Krächz schließlich zurück, den Schafpelz vor der Brust aufgesperrt, puterrot im Gesicht.
    Der Doktor wurde lebendig, schüttelte sich, der Schnee fiel brockenweise von ihm ab. »Gefunden?«, erkundigte er sich.
    »Ja«, keuchte der Krächz. »Aber dabei hätt ich mich beinah verfranst. Man sieht rein gar nix mehr.«
    Er schaufelte sich eine Handvoll Schnee vom Mobil, vergrub die Lippen hinein und kaute.
    »Und wie sollen wir da weiterkommen?«
    »Gemach, gemach, der Herr. Mit Gottes Hilfe schaffen wirs bis Possad. Da iss die Straße breiter, befahrner.«
    Der Krächz schnalzte vernehmlich. Widerwillig schurrten die Pferde mit den Hufen über den Zug. Das Mobil stand und rührte sich nicht.
    »He, was iss mit euch? Habt ihr euch beim Müller faul gefressen?«
    Durch das Mobil ging kaum ein Rucken.
    Der Doktor stieg aus. »Abfahrt!«, rief er und ließ die Faust wütend auf

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