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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Schrammen, Blutergüsse, das Gesicht leicht angeschwollen.
    Der Doktor trat vorsichtig näher, beugte sich nach vorn und schaute.
    »Was ist mit ihm?«
    »Er hat Prügel bezogen«, erwiderte Leistritt.
    »Von wem?«
    »Von uns.«
    Der Doktor wandte den Blick, sah Leistritt ins kluge Gesicht.
    »Weswegen?«
    »Er hat wertvolles Gut verloren.«
    Der Doktor seufzte missbilligend, ging in die Hocke, ergriff die Hand des verprügelten Sandmann. Der Puls war vorhanden.

    »Dachtet Ihr, er lebt nicht mehr?«, fragte La Le Lu und strich sich über den schütteren Bart.
    »Er lebt. Aber er fiebert«, stellte der Doktor, das Gesicht des Dopaminierers berührend, fest.
    »Das tut er«, nickte Suchtaus.
    »Da liegt der Hase im Pukipuki«, sagte Leistritt und leckte sich die schmalen Lippen. »Nämlich dass wir keine Medikamente haben.«
    »Die Sache gehörte vor Gericht, meine Herren«, sagte der Doktor und betrachtete den verprügelten Mann; seine Unterlippe schob sich nach vorn.
    »Wohl wahr«, sagte Leistritt, und die beiden anderen Dopaminierer nickten zustimmend mit ihren geschorenen Köpfen im Takt. »Aber wir hoffen auf Ihr Verständnis.«
    »Ich muss das melden«, äußerte Platon Garin nicht sehr überzeugt, wusste er doch, dass er sich mit solch einer Aussage in kürzester Zeit zurück in den pfeifenden Schneesturm katapultieren konnte.
    »Wir würden uns auch erkenntlich zeigen«, sprach La Le Lu, die russischen Wörter mit Bedacht setzend.
    »Schmiergeld nehme ich keines an.«
    »Nicht Geld ist gemeint«, erläuterte Leistritt. »Wir würden Ihnen eine Kostprobe anbieten.«
    Der Doktor sah Leistritt an und sagte nichts.
    »Von einem ganz neuen Produkt.«
    Doktors Garins Brauen hoben sich, er nahm den Kneifer ab und putzte ihn. Seine Nase hatte von der Wärme eine rosa Färbung angenommen.
    »Also …« Er drückte den Kneifer wieder auf die Nasenwurzel, seufzte, schüttelte bedächtig den Kopf.
    Die Dopaminierer saßen reglos und gespannt.
    »Da kann man natürlich … schlecht Nein sagen«, seufzte der Doktor hilflos und kramte nach dem Taschentuch.

    »Und wir dachten schon, Sie würden ablehnen«, lächelte Leistritt.
    Die Dopaminierer sahen einander an und brachen in ein fröhliches Lachen aus. Auch die Dienerinnen glucksten leise.
    Der Doktor schnäuzte sich geräuschvoll, dann lachte auch er.
    Das satte Gesicht des Kasachen schaute durch den Vorhang.
    »Herrschaften, der Kutscher hätte seine Pferde gern im Warmen.«
    »Wie viele sind es?«, fragte Suchtaus.
    »Keine Ahnung. Es sind Kleinpferde.«
    »Ach so …«
    Suchtaus und Leistritt wechselten einen schnellen Blick.
    »Bau ihnen eine Butze. Und dem Mann gib zu essen.«
    Der Kasache verschwand.
    »Dann … bräuchte ich jetzt mal meine Taschen«, brummte der Doktor, über den geschundenen Sandmann gebeugt. »Und als Erstes muss ich mir die Hände waschen. Mit Seife.«
    Er genierte sich für diese Schwäche, kam aber nicht dagegen an: Schon des Öfteren, sofern sein Geldbeutel es zuließ, hatte er die Produkte der Dopaminierer ausprobiert. Das Leben eines Landarztes ließ sich mit ihrer Hilfe sehr viel leichter ertragen. So alle acht Wochen hatte er sich das geleistet. Im letzten Jahr war er allerdings knapp bei Kasse gewesen – sie hatten ihm das ohnehin nicht sehr üppige Gehalt um achtzehn Prozent gesenkt. Daher hatte er kürzer treten müssen. Seit einem Jahr hatte Doktor Garin schon nicht mehr gestrahlt.
    Kaum, dass er sich seiner Schwäche geschämt hatte, schämte er sich seiner Scham; ob dieser doppeltenSchamhaftigkeit schließlich geriet er in Zorn, schalt sich selbst: »Idiot … Kanaille, elende … verfluchter Saubermann …«
    Die Hände zitterten ihm, er musste sie schleunigst beschäftigen. Also ging er daran, den Teppich zu entrollen und den darin Liegenden vollständig aufzudecken. Der Dopaminierer stöhnte auf.
    Unterdessen hatten zwei Mädchen die Taschen hereingetragen, vom Schnee gereinigt und vor dem Doktor abgestellt. Zwei andere hatten einen Krug, ein Becken und ein Handtuch gebracht.
    »Seife?«, fragte Garin, während er das Jackett ablegte und die Hemdärmel aufkrempelte.
    »Seife haben wir keine«, erwiderte Leistritt.
    »Ach? Wodka vielleicht?«
    »Solcher Dreck kommt uns nicht ins Haus«, sagte Suchtaus lächelnd.
    Dem Doktor fiel ein, dass er ja selbst Alkohol dabeihatte.
    Er klappte eine Tasche auf und zog ein bauchiges Fläschchen hervor, spülte die Hände im Wasser, trocknete sie am Handtuch und rieb sie anschließend mit

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