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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Tür öffnete sich eine Luke, darin erschien ein kauendes mandeläugiges Gesicht.
    »Was wollt ihr?«
    »Wir haben uns verfahrn. Wir dachten, es wär Possad.«
    »Wer, wir?«
    »Das Doktorchen hier und ich. Wir sind auf dem Weg nach Dolgoje.«
    Das Gesicht verschwand, die Luke klappte zu.
    »Dopaminierer!«, sagte der Doktor mit müdem Lachen und schüttelte fassungslos den Kopf, dass der Fuchsschwanz ins Pendeln geriet. »Die haben uns gerade noch gefehlt!«
    Aber er war es zufrieden: Das stabile, ebenmäßige Zelt, von keinem Sturm zu erschüttern, zeugte vom Sieg der Zivilisation über die blinde Urgewalt der Elemente.
    Es vergingen etliche Minuten, bis die Tür sich auftat.
    »Bitte einzutreten!«
    Der Kasache (um einen solchen, stämmig und untersetzt, musste es sich handeln) tat eine einladende Geste. Dass man ihn vom Essen abhielt und er darüber wenig beglückt war, ließ sich jedoch erkennen.
    Der Doktor und der Krächz betraten einen nur schwach mit elektrischem Licht erhellten, dafür gut geheizten Raum. Sogleich erhoben sich zwei lilafarbene Riesendoggen mit Leuchtglöckchen an den Halsbändern von ihren Plätzen und kamen knurrend herübergelaufen. Die lila Hundeaugen fixierten die Eintretenden, in den rosa Schlünden, denen das Knurren entsprang, blitzten weiße Zahnreihen.
    »Ksch-sch!«, zischte der Kasache gegen die Hunde und schloss die Tür.
    Knurrend kehrten die Tiere auf ihren Platz am Ofen zurück. Zwei große Benzinmobile füllten den Raum, außerdem eine Garderobe; zahlreiche Paar Schuhe waren akkurat aufgereiht. Es war dies das Vorzelt zum eigentlichen Bau. Der Geruch des teuren, kostbaren Benzins, auch die beiden Mobile und die gepflegten zwei Doggen machten auf den Doktor einen beruhigenden Eindruck; der Fuhrmann schien davon eher deprimiert.
    »Legen Sie ab, fühlen Sie sich wie zu Hause«, sprach der Kasache zum Doktor mit einer leichten Verbeugung.
    Der Doktor ging daran, den Mantel abzulegen, der Kasache eilte hinzu und half ihm.

    »Ich tät meine Pferdis gern ins Warme stellen«, sagte der Krächz, der schüchtern seine Mütze abgenommen hatte und sein klitschnasses Haar zu ordnen versuchte.
    »Ich geh die Herrschaft fragen«, erwiderte der Kasache ungerührt, während er dem Doktor aus den Kleidern half.
    Als Nächstes zog er ihm die Stiefel aus und reichte ihm ein Paar Filzpantoffeln. Eine Kasachin in langem, grellfarbenem Kleid und mit einem Tjubetejka-Käppchen auf dem Kopf tauchte von irgendwoher auf und lupfte einen dicken Vorhang.
    »Bitte sehr!«, sagte die Kasachin und lud ihn mit zierlicher Hand ein.
    Der Doktor trat durch den Spalt. Der Krächz blieb mit der Mütze in der Hand am Eingang zurück.
    Im Innern des Zelts war es lichter und noch wärmer. Das geräumige Rund mit den einheitlich filzgrauen Wänden atmete die Behaglichkeit eines Nomadenzeltes, geschwängert mit östlichen Aromen. In der Mitte, gerade unter dem Abzug, saßen drei Männer an einem flachen, quadratischen schwarzen Tisch, wie man ihn aus derlei Niederlassungen kannte. Die vierte Seite des Tisches war unbesetzt. Weiter hinten saßen längs der Zeltwand sieben Dienerinnen. Die achte, welche den Doktor ins Zelt gebeten, nahm gerade wieder dort Platz.
    Die drei Herren blickten dem Doktor entgegen.
    »Garin, Landarzt«, stellte dieser sich mit einem Nicken vor.
    »Leistritt … Suchtaus … La Le Lu«, erwiderten die Drei und neigten einer nach dem anderen ihre kahl geschorenen Köpfe.
    Leistritt und Suchtaus hatten europäische Gesichter, während La Le Lu der Asiate auf den ersten Blick anzusehen war.

    »Doktor, Sie schickt der Himmel«, sagte der hagere, schmalgesichtige Leistritt lächelnd.
    »Inwiefern?«, lächelte der Doktor zurück und putzte den beschlagenen Kneifer.
    »Insofern, als wir Ihrer Hilfe dringend bedürfen«, erging Leistritt sich in weiteren Andeutungen.
    »Ist jemand krank?« Garins Blick ging von einem zum anderen.
    »So ist es«, nickte Suchtaus, ein stämmiger Kerl mit grobem, beinahe bäuerlich zu nennendem Gesicht.
    »Wer denn?«
    »Unser Freund Sandmann da drüben«, sagte Leistritt, mit dem Kopf in eine Richtung deutend.
    Der Doktor wandte sich dorthin. Zwischen zweien der sitzenden Mädchen lag etwas, das in einen Teppich eingerollt war. Die Mädchen schlugen den Teppich zurück, und der Doktor erblickte den Vierten im Bunde, auch er mit geschorenem Kopf und einem Halsband mit blitzenden Supraleiterinkrustationen. Sandmanns Kopf war stark in Mitleidenschaft gezogen:

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