Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
Vom Netzwerk:
dass es ein Produkt ist?, haderte er mit sich. Bin ich blöd … Dass das Ding so hart war, hat mich irritiert, ja … Da muss eine ganze Charge auf der Straße herumgelegen haben. Mein Jahresgehalt. Nicht zu fassen!
    Der Doktor lächelte säuerlich in sich hinein.
    »Oder kennen Sie das Produkt etwa schon?«, suchte Leistritt das Lächeln zu deuten.
    »Nein, wie kommen Sie darauf? … Ich kenne nur Würfel und Kugel.«
    »Na, die kennt ja wohl jeder«, sagte La Le Lu und wiegte die muskulösen Schultern.
    »Das hier ist das Allerneueste. Wir sind selbst noch am Probieren«, sagte Leistritt augenzwinkernd. »Wir versuchen die Grenzen auszuloten. Im Frühjahr wollen wir damit herauskommen.«
    Der Doktor nickte einsichtig und ungeduldig.
    Man müsste auf dem Rückweg von Dolgoje dieselbe Strecke fahren, dachte er vorsichtig.
    Leistritt drückte einen Knopf an der Tischplatte. Unter der Pyramide flammte ein Gaskocher auf.
    »Sie verdunstet nicht sofort«, erläuterte Suchtaus.
    »Anders als Kugel und Würfel, ja?« Der Doktor schniefte erregt und leckte sich die Lippen.
    »Ganz anders. Sie muss erst gleichmäßig erhitzt werden. Etwa vier Minuten.«
    »Dann warten wir so lange!«, lachte der Doktor nervös, der Kneifer rutschte ihm von der Nase.
    »Wohl oder übel«, lächelte Leistritt.
    »Lieber wohl als übel«, verbesserte ihn La Le Lu und strahlte über das ganze Gesicht.
    Derweil saß der Krächz schon ganz für sich allein in seiner Butze, die gerade eigens für ihn errichtet worden war, und aß heiße Nudeln mit Hühnerfleisch. Zum ersten Mal hatte er mit eigenen Augen erleben können, wie aus lebend gebärenden Fasern gebaut wird. Bachtijar, der kasachische Diener der Dopaminierer, hatte ihm den Vorgang des Butzenbaus mit einiger Herablassung demonstriert. Zuerst hatte er ihn angewiesen, das Mobil so nahe wie möglich an die Zeltwand heran zu dirigieren, dann drei sogenannte Kämme in den Schnee geschlagen und damit den Umfang der Butze abgesteckt, Schutzhandschuhe übergestreift, aus einer Tube die lebend gebärende Filzpaste auf die Kämme gedrückt und mit Lebendwasser-Spray eingesprüht. Dann sah er den Krächz mit triumphierendem Blick an. Der stand da mit seinem Vogellächeln, die Hände auf das Mobil gelegt, so als fürchtete er, es zu verlieren. Die graue Paste wurde rege und lebendig, Filz wuchs aus ihr hervor, Faser um Faser. Trotz des tobenden Schneesturms wuchsen drei Filzwände aufeinander zu, die das Mobil und seinen Besitzer einschlossen. Bachtijar blieb draußen.
    »Und?«, fragte der Kasache selbstzufrieden.
    »Das geht ja ratzfatz!« Dem Krächz stand vor Verblüffung der Mund offen.
    »Alles Technologie.«
    »Techno…logie«, wiederholte der Krächz das unbekannte Wort ehrfürchtig.
    Als die Filzwände bis auf Bachtijars Augenhöhe gewachsen waren, holte der Kasache das Totwasser-Spray hervor und besprühte damit die Stirnflächen. Der Filz hörte sofort auf zu wachsen. Der Kasache trieb eine Hechel in den Rand der Langseite, sprühte noch einmal Lebendwasser und züchtete der Butze ein Dach. Der Krächz musste den Kopf einziehen, er kauerte sich auf den Bock des Mobils. Während er das Dach über sich hinwegwachsen sah, griff er instinktiv nach Lenkscheitund Zügeln. Am Ende fand er sich mit seinen Pferden in einem geschlossenen Raum wieder, getrennt von Schneetreiben, Frost und gleißendem Licht. Es war finster und ungewöhnlich still. Das Versprühen des Totwassers, welches dem Wachstum Einhalt gebot, war das Letzte, was er noch hatte hören können. Die Pferdchen unter der Kaube schienen zu spüren, dass etwas vorging, sie taten keinen Mucks und rührten sich nicht.
    »Alles gut?«, fragte der Krächz und klopfte an die Kaube.
    Ein vorsichtiges Wiehern des Rotschimmels war die Antwort. Die drei unzertrennlichen Dunkelfüchse fielen ein, dann die Falben und die Braunen und die etwas schwerfälligen Goldfüchse ganz zuletzt.
    Es vergingen fünf Minuten, und die Finsternis wurde vom scharfen Ton eines Elektromessers durchschnitten. Geschickt fräste der Kasache eine kleine Tür in die Wand zum Vorzelt und klappte sie auf, sodass Licht und Wärme hereindrangen:
    »Erschrocken?«
    »I wo!«, erwiderte der Krächz und rutschte auf seinem Sitz hin und her.
    »Bleib, wo du bist. Ich bring dir was zu fressen.«
    Bachtijar kehrte zurück mit einer Schale Nudeln und einem Löffel.
    »Es erging der Befehl, dich zu beköstigen.«
    »Ergebensten Dank«, sagte der Krächz mit einem Diener und nahm das

Weitere Kostenlose Bücher