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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Essen entgegen.
    Auch wenn es in der Butze nicht sehr hell war – den Hühnerflügel zwischen den Nudeln konnte er gut erkennen. Und er machte sich mit Heißhunger über die Schale her. Die Pferde hörten es, sie schnaubten und wieherten.
    »Habt euch nich so!«, rief der Krächz ihnen zu undklopfte mit dem Löffel gegen die Kaube. »Ihr seid noch nich dran, ihr müsst erst noch fahrn …«
    Die Pferde verstummten. Nur der trotzige Rotschimmel wieherte verdrossen.
    »Ich werd dir gleich, du alter Räuber«, brummelte der Krächz liebevoll, während er das leckere Hühnerfleisch kaute.
    Hingebungsvoll nagte er den Knochen ab und zutschte ihn aus.
    Das sind gute Leute, dachte der Krächz, der von dem heißen Essen rasch ins Schwitzen kam. Trotzdem dass sie Pomadinierer sind.
    Die transparente Pyramide gab einen leisen Pfeifton von sich und löste sich in Luft auf. Der Brenner erlosch. Im nächsten Moment wölbte sich über dem Tisch eine durchscheinende Halbkugel aus feinster lebend gebärender Plastik, die die vier einschloss und vom Rest des Raums und der Welt schied; die Hülle war so fein, dass nur das Geräusch, mit dem die Kuppel sich über ihnen geschlossen hatte, ähnlich dem Platzen einer überdimensionalen Seifenblase oder dem Auseinanderklappen der Lippen eines dösenden Riesen, ihre Existenz verriet.
    »Madagaskar«, sprach Leistritt mit schwer werdender Zunge den traditionellen Gruß konsumierender Dopaminierer.
    Und noch ehe der Doktor ein Raksagadam! antworten konnte, kippte er in einen anderen Raum.
    Grau verhangener Himmel. Spärliche Schneeflocken. Die aus schweren grauen Wolken fallen. Fallen und fallen. Es riecht nach Winter, aber feucht. Tauwetter? Frühwinter vielleicht. Ein schwacher Wind trägt Rauchgeruch heran. Genauer, es riecht wie in einer »schwarzen«Sauna, die mit offenem Feuer angeheizt wird. Ein Wohlgeruch. Nach heißem Birkenbast. Er bewegt den Kopf. Ein dumpfes Plätschern ist zu hören. In der Nackengegend. Er äugt zur Seite. Neben seinem Kopf ist Flüssigkeit. Kein Wasser. Zähflüssiger. Und riecht bekannt. Sehr sogar. Aber auch sehr zähflüssig. Es ist Sonnenblumenöl. Er steckt darin, bis zum Hals! Er sitzt in irgendeinem Gefäß, das mit Sonnenblumenöl gefüllt ist. Es ist ein schwarzer Kessel, ein großer Kessel mit wulstigem Rand. Rund um den Kessel ist ein großer Platz. Der Platz ist voller Leute. Wie viele das sind! Hunderte und Aberhunderte von Leuten. Sie stehen dicht gedrängt. Es ist aber auch ein sehr großer Platz. Umstanden von Häusern. Europäischen Häusern. Auch eine große Kirche steht da. Die hat er schon mal irgendwo gesehen. Könnte es Prag sein? Sieht ganz danach aus. Ja, es muss Prag sein. Oder auch nicht. Warschau? Vielleicht Bukarest. Krakau? Nein, wohl doch Warschau. Der Marktplatz. Hier stehen also diese vielen Hundert Leute. Stehen da und schauen auf ihn. Er möchte seine Glieder bewegen. Aber das geht nicht. Er ist gefesselt. Mit einem dicken Strick. In eine Lage gebracht, als befände er sich in einer Gebärmutter. Die Beine angewinkelt, zur Brust gezogen und mit dem Strick festgezurrt. Die Hände an die Fußknöchel gefesselt. Er versucht, die Finger zu bewegen. Das geht, die Finger sind frei. Er berührt seine Sohlen. Hand- und Fußgelenke hängen straff aneinander. Er kauert am Grund des Kessels. Den Boden berührend. Er kommt sich vor wie eine Boje. So hat er einmal schwimmen gelernt als Junge. Indem er so tat, als wäre er eine Boje. Das ist lange her. Es war in einem breiten Fluss. Warmes Sonnenwetter. Der Vater stand am Ufer mit einem breiten Sonnenhut. Er hat gelacht. Seine Brille hat in der Sonne geblitzt. Und er hat die Boje gespielt und zum Vater hingeschaut. Am Ufer standen zwei Pferde und tranken. Auf dem einen saß ein nackter Junge und sah verächtlich herüber. Und er hat die Boje gemimt. Aber das ist lange her. Sehr lange her. Jetzt ist er gefesselt. In diesem Kessel. Der Kessel steht erhöht. Auf einem Gerüst. Er kann die Klammern in den dicken Balkenenden sehen. Der Kessel nimmt das Gerüst beinahe vollständig ein. Er muss auf noch irgendetwas stehen. Und zwei dicke Ketten gehen von den Ösen des Kessels straff hinauf zu zwei frisch gehobelten Säulen. Sind um diese Säulen herumgewickelt, jede viermal. Und mit großen Schmiedenägeln angeschlagen. Die Säulen sind Teil des Gerüstes. Wo das Gerüst zu Ende ist, fängt das Gedränge an. Die Menge glotzt. Viele lachen. Weiter hinten, bei der Kirche, deklamiert einer etwas in

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