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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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einer Familie, eines Dorfes, einer kleinen Stadt kommen sie gut ohne das aus. Warum schon nicht mehr in den Grenzen eines ganzen Landes? Die Öse heizt sich auf. Den Sohlen wird es zu heiß. Er zieht die Füße weg, was aber nur dazu führt, dass sie zu Boden sinken. Wo es noch viel heißer ist. Die Sohlen zucken zurück. Aber lange im Öl schweben können sie nicht. Sie brauchen einen Halt. Er sinkt mit dem Gesäß auf Grund und verbrennt sich. Schiebt die Finger unter das Gesäß und die Sohlen. Stemmt sie gegen den heißen Boden. Stößt sich ab, wechselt auf die Öse. Der Rauch vom Feuer wölkt um den Kessel, beißt ihm in die Augen. Er schließt sie und schreit, sie seien doch alle Verbrecher. Und dass man die Stadt vor ein internationales Tribunal stellen werde. Wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Und der Urteilsspruch des internationalen Tribunals werde sie alle hinter Gitter bringen. Eine Atombombe werde abgeworfen über dieser Stadt. Die Menge lacht und johlt. Das Öl erhitzt sich weiter. Heiße Ströme wallen nach oben. Wie züngelnde Flammen lecken sie an seinem Rücken, an seiner Brust. Vor ihnen gibt es kein Entrinnen. Und sie werden immer heißer. Auch die Öse ist mittlerweile glühheiß. Er holt tief Luft. Schreit, so laut er kann. Verflucht diese Stadt. Verflucht die Leute unten auf dem Platz. Deren Eltern, Kinder, Kindeskinder. Verflucht ihr Land. Er fängt an zu heulen. Wirft umsich mit Flüchen. Was ihm gerade in den Sinn kommt. Schreit die Flüche heraus, schluchzend, spuckend. Das Öl schwappt um seinen Kopf. Die Öse ist schon zu heiß, um sich noch dagegenzustemmen. Viel zu heiß. Nur der Boden ist noch heißer. Ihn kann man nicht einmal mehr berühren. Er stößt sich ab und schwebt im Öl. Sinkt, stößt sich neuerlich ab und schwebt. Sich abstoßen, schweben. Sich abstoßen, schweben. Ein Hüpfen auf und nieder, ein Tanzen. Im Öl! Er fängt an zu jaulen. Er jault und tanzt! Sein Jaulen gilt nicht mehr nur der Menge auf dem Platz, er jault die Dächer der Häuser an, die den Platz umstehen. Ein Tanz im Öl! Alte Ziegeldächer. Tanze! Unter denen Menschen wohnen. Tanze! Familien. Tanze! Frauen, die das Frühstück zubereiten. Tanze! Strümpfe stopfen. Tanze! Spielende Kinder, weinende Kinder. Tanze! Kinder, die sich an ihre Mütter schmiegen. Tanze! Die in ihren Bettchen schlafen. Tanze! Schlaf, Kindlein schlaf. In kleinen Betten, auf bestickten kleinen Kissen. Mütter besticken Kissen mit Blumen. Auf denen die Kinder schlafen. Schlaf, Kindlein, schlaf. Ohne aufzuwachen. Tagelang. Das ist gut möglich. Schlafen, ohne aufzuwachen. Dafür kann man nicht hingerichtet werden. Solange man nicht aufwacht. Schläft, einfach weiterschläft. Er aber schreit und fleht. Will geweckt werden. Er glaubt den Kindern. Er glaubt den Tauben auf den Ziegeldächern. Er mag Tauben. Die Tauben können ihm vergeben. Die Tauben vergeben den Menschen allen. Tauben töten keine Menschen. Sterbe ich? Tauben lieben sie. Sterbe ich? Tauben werden ihn retten. Sterbe ich? Er wird sich in eine Taube verwandeln. Sterbe ich? Davonfliegen! Ich sterbe! Die Menge beginnt zu singen und zu schunkeln. Sterbich! Was ist das? Sterbich! Ein Volkslied? Sterbich! Ein Lied dieses Volkes? Sterbich! Dieses herrlichen Volkes. Sterbich! Dieses hässlichen Volkes.Sterbich! Dieses biestigen Volkes. Sterbich! Das Volk singt. Sterbich! Es schunkelt und singt. Sterbich! Sie wollen seinen Tod. Sterbich! Einen schönen Tod. Sterbich! Doch er wird zur Taube werden und davonfliegen. Sterbich! Nein, das ist doch der Freiheitschor. Sterbich! Nabucco! Sterbich! Va, pensiero, singen sie, sull’ali dorate! Ster! Bich! Und schunkeln dazu. Ster! Bich! Und singen. Ster! Bich! Und schunkeln. Ster! Bich! Ster! Bich! Ster! Bich! Ster! Bich! Ster! Bich! Ster! Bich! Ster! Bich! Ster! Bich! Ster! Bich! Bich! Bich! Bich! Bich! Bich! Bich! Bich! Bich! Bich! Bich! Bich! Bich! Bich!
    Der Doktor schlug die Augen auf. Er wand sich in den Händen zweier Dienerinnen. Sein Körper zuckte in Krämpfen wie ein Fallsüchtiger. Neben ihm zuckten und krampften die drei Dopaminierer, sorgsam gehalten von anderen Mädchen. Die Zuckungen ließen nach. Alle vier kamen langsam zu sich.
    Die jungen Kasachinnen wischten ihnen den Schweiß aus den Gesichtern, streichelten sie und murmelten tröstliche kasachische Worte.
    »Ein Superprodukt«, stellte Leistritt fest, nachdem er einen großen Schluck Wasser genommen und sich einigermaßen beruhigt hatte.
    »Neun Punkte«,

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