Der Schneesturm
schlenkerte den Kopf, als müsste er etwas herausschütteln.
»Hornochse! Rindvieh!« Der Doktor setzte den Kneifer auf, tat einen Schritt, verzog das Gesicht, warf einen Blick auf das schief liegende Mobil, schlug die Hände zusammen. »Du bist ein solches Rindvieh …«
Der Krächz sagte nichts darauf.
»Ein ausgemachtes R-r-rindvieh!!«
Des Doktors schallende Stimme verlor sich zwischen den verschneiten Tannenbäumchen.
Der Krächz ließ ihn stehen, ging wieder hin zum Bug des Mobils, stand da und schniefte.
»So ein Rindvieh hat die Welt noch nicht gesehn …« Der Doktor kam hinterhergekraxelt, blieb stehen, guckte.
Hob die Brauen und erstarrte.
Vor dem Mobil ragte etwas aus dem Schnee. Im ersten Moment hatte der Doktor es für den gerodeten Stubben eines alten Baumes gehalten. Doch bei näherem Hinsehen erkannte er die Umrisse eines Kopfes. Den Kopf eines toten Riesen. Mit der rechten Kufe war das Mobil ihm in das linke Nasenloch gefahren.
Der Doktor zwinkerte, wollte seinen Augen nicht trauen: Der Hügel, über den sie hatten hinwegsetzen wollen, war nichts anderes als der verschneite und zugewehte Leichnam eines großwüchsigen Menschen.
Platon Garin vergaß den Schmerz im Knie, trat auf das Mobil zu und beugte sich nieder. Durch den Aufprall war der gefrorene Riesenkopf teilweise vom Schnee befreit. Man sah die verstrubbelten Haare, die runzlige Stirn und die buschigen Brauen. Die Kufenspitze war ganz in der fleischigen Nase verschwunden. Die Schneekristalle an Brauen, Wimpern und Haaren des Hünen funkelten silbern im Mondlicht. Ein Auge war voller Schnee, das andere, halb geschlossen, schaute streng und unverwandt in den Nachthimmel.
»O Gott!«, murmelte der Doktor.
»Sag ich doch«, brummelte der Krächz und nickte verzagt.
Der Doktor hockte sich neben den Kopf und wischte den Schnee aus dem zugewehten Auge. Es war ebenso halb geschlossen. Der Mund war von einem verschneiten Bart überwuchert, darüber hing der Bug des Mobils. Am Ohrläppchen des Riesen, das aus dem Schnee hervorragte, baumelte ein massives Kupfergehänge in Form und Ausmaß einer Dreißigkilohantel.
Vorsichtig tippte der Doktor dagegen. Fuhr mit der Hand über die gefrorene Nase, deren Haut großporig und verpickelt war. Gigantisch! Er wandte sich um. Da stand der Krächz mit einem Gesichtsausdruck, als wäre das Mobil seinem leiblichen, lange verschollenen Bruder ins Nasenloch gefahren.
Der Doktor lachte auf und ließ sich rücklings fallen. Sein Gelächter hallte von den Tannenbäumen wider. Die Pferde im Innern des Mobils reagierten mit beunruhigtem Wiehern, was beim Doktor einen neuen Lachanfall auslöste. Lachend rutschte er auf dem Rücken durch den Schnee, riss den fleischigen Mund auf, der Kneifer blitzte.
Der Krächz stand da wie ein begossener Pudel. Dann machte er tz-tz! und fing ebenfalls zu lachen an, lachte, dass die unförmige Mütze wackelte.
»Du bist mir schon ein Meister, Kosma!«, sagte der Doktor, als er genug gelacht hatte und sich die Tränen aus den Augen wischte.
»Ja nu. Wie das passiern konnt … Ich sag ja, das glaubt einem keiner, wenn mans wem erzählen will.«
»Hundertprozentig nicht!« Der Fuchsschwanz des Doktors zuckte wild.
Er stand auf und schüttelte den Schnee ab. Humpelte ein Stück abseits, wandte sich um und schaute.
»Was für ein Lulatsch. An die sechs Meter sind es bestimmt! Und macht ausgerechnet hier die Hufe hoch.«
Inzwischen hatte der Krächz einen großen rundlichen Gegenstand bemerkt, der neben der Leiche des Riesen im Schnee steckte. Er stieß mit dem Fuß dagegen, sodass der Schnee abfiel. Die Ruten eines Korbgeflechts wurden sichtbar. Der Krächz wischte mit dem Fäustling den restlichen Schnee herunter. Da funkelte etwas. Es war eine große, drei Eimer fassende Korbflasche aus dickem grünem Glas.
»Na sieh einer an …«
Der Krächz wischte den Schnee vom mächtigen Flaschenhals, roch daran. »Wer sagts denn, der Herr. Wodka!«
Er schlug gegen das im Harsch klebende Gefäß, eiste es los, kippte es um. Kein Tropfen rann heraus.
»Ausgetrunken hat er sie, der Geselle«, schlussfolgerte der Krächz mit Vorwurf in der Stimme.
»Ausgetrunken und den Löffel abgegeben. Mitten auf der Straße. Das ist sie, die wilde russische Natur …«
»Hätt er sich nich wenigstens unter nen Tannbaum legen könn«, meinte der Krächz, sich am Hintern kratzend. Noch während er dies sagte, merkte er, dass es eine Dummheit war: Es hätte einer hundertjährigen Tanne
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