Der Schneesturm
bedurft, dass dieser Gigant sich unter ihr aufs Ohr hätte legen können. Der Jungwuchs, der ringsum spross, war dafür ungeeignet.
»Sich besaufen und umfallen. Auf offener Straße. Das ist der Wahnsinn! Der russische Wahnsinn!«, grinste der Doktor, dem das Lachen die Röte ins Gesicht getrieben hatte, holte sein Etui hervor und rauchte die letzte Zigarette.
»Und der Gipfel iss«, sagte der Fuhrmann, sich kratzend und schniefend, »dasses wieder dieselbe Kufe iss,mit der wir da rinngerauscht sind. Da steckt der Wurm drinne!«
»Wie meinen?« Der Doktor schaute verständnislos durch die Rauchwolken.
»Na, die wo schon gesplissen war.«
»Ach? Sag bloß! Wieder die? Verdammt! Ja, was stehst du dann noch rum?! Stoß zurück aus dem Dösbartel und lass sehen!«
»Wird gemacht, der Herr.«
Der Krächz schaute zu den Pferden hinein, dann klemmte er sich auf den Bock und schnalzte.
»Zu-u-rrück! Zu-u-rrück!«
Prustend begannen die Pferde, rückwärts zu stelzen. Doch das Mobil rührte sich nicht vom Fleck. Der Krächz ahnte, was Sache war. Schaute unter das Mobil. Machte verdrossen: »Tz-tz!«
»Wir hängen in der Luft, der Herr. Der Lauf sitzt nich auf und kann nich greifen.«
»Ach, geh.« Der Doktor, ohne an sein Knie zu denken, die Zigarette zwischen die Lippen geklemmt, trat vor das Mobil, stemmte sich dagegen.
»Hau … rrruck!«
Der Fuhrmann nahm neben ihm Aufstellung. Er roch den Schnapsatem des Doktors. Schob mit. Das Mobil wackelte und bebte, doch der Kopf des Riesen gab die Kufe nicht frei.
»Muss sich verkeilt haben«, stellte der Krächz keuchend fest.
»In einer Nase!«, rief der Doktor und brach aufs Neue in Gelächter aus.
»Sie muss ab.« Der Krächz zog das Beil unter dem Bock hervor.
»Die Kufe?!«, fragte der Doktor verdattert und legte die Stirn in Falten.
»Die Nase.«
»Ach so. Ja, tu das. Hack sie ab, mein Lieber.«
Der Doktor tat einen letzten Zug und warf die Kippe weg.
Der Mond schien hell. Die Tännchen standen in Reih und Glied wie auf einer lebendigen Weihnachtspostkarte.
Der Doktor knöpfte den Parka auf, ihm war heiß geworden. Mit dem Beil in der Hand näherte der Krächz sich dem Kopf des Toten, nahm Augenmaß und begann, das Nasenloch, in dem die Kufe des Mobils steckte, aufzuhacken. Mit dampfendem Atem stand der Doktor an das Mobil gelehnt und sah dem Krächz bei der Arbeit zu.
Splitter von gefrorenem Fleisch flogen unter dem Beil hervor, bis es hörbar auf den Knochen vordrang.
»Gib acht, dass du die Kufe nicht beschädigst«, riet der Doktor in belehrendem Ton.
»Logo«, brummte der Krächz.
Während er auf die gefrorene Riesennase einhackte, gedachte er der allerersten Begegnung mit Großwüchsigen in seinem Leben. Da war Kosma zehn gewesen und hatte noch nicht in Dolbeschino gewohnt, sondern in seinem Elternhaus in Pokrowskoje, einem begüterten Dorf. In jenem Sommer war beschlossen worden, den Herbstjahrmarkt von Dolgoje nach Pokrowskoje zu verlegen. Dafür wollten die Kaufleute des Ortes den sogenannten Faulhain roden lassen und an seiner Stelle einen Speicher bauen, wo der Markt stattfinden sollte. Die Ansammlung alter Eichen stammte noch aus der Zeit, als es im Dorf ein Gutshaus gegeben hatte, das später, während der Roten Wirren, abgefackelt worden war. Die riesigen Bäume waren am Absterben, manche hohl – bestens geeignet für die Kriegs- und Werwolfspiele der Dorfjungen –, andere schon umgestürzt und am Verrotten. Der Hain sollte nun also gerodet werden. Zu demZweck hatten die Kaufleute des Ortes drei Großmenschen angeheuert: Awdot, Borka und Wjachir. Eines linden Sommerabends hielten sie, Rucksäcke, Äxte und Sägen geschultert, in Pokrowskoje Einzug. Allesamt fünf, sechs Meter groß, so wie der hier. Von den Dorfjungen wurden sie mit Johlen und Pfeifen begrüßt, scherten sich aber nicht um die Bengel, übersahen sie geflissentlich wie Spatzen. Sie übernachteten in des Kaufmanns Bakschejew alter Darre und gingen anderntags ans Fällen der Eichen. Ihnen bei der Arbeit zuzusehen war dem kleinen Kosma Graus und Behagen in einem. Die Großmenschen schufteten, dass es nur so krachte und splitterte. Nicht nur, dass sie die Eichen alle umlegten und zu Kleinholz spalteten, obendrein wühlten sie die riesigen Stubben aus der Erde und machten ebenso Brennholz daraus. Abends trank jeder seine drei Zuber Milch und verspeiste Unmengen Kartoffelbrei mit Speck; dann hockten sie auf den Eichenstubben und grölten mit ihren Donnerbässen Lieder.
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