Der Schneider himmlischer Hosen
bekehren ließ, das Urteil der Welt über dies oder jenes könne auch für sie gelten. Ihr Wissen um natürliche oder soziale Angelegenheiten, wie es zum Beispiel die Familie der Fünf Tugenden besaß, verdankte Kuniang in der Hauptsache dem Kleinen Lu. Und auch die Russen trugen manches Eigenartige bei, mit charakteristischer und unsittlicher Offenherzigkeit.
Zuzeiten fand es Kuniang schwer, Fjodor in Schranken zu halten. Er erlaubte sich Freiheiten, vor denen sittenstrengere Leute die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hätten. Gleichmütig nahm sie seine Tätlichkeiten und Anträge hin, wies sie auch wohl zurück, als harmlose Kennzeichen der Sympathie eines jungen Mannes, die in den Frühlingmonaten des Lebens und des Jahres leicht zu Liebesgedanken auflodern kann.
Es gibt wohl kaum einen Jugendlichen, der unter dem Fortschritt der geschlechtlichen Entwicklung so wenig gelitten hätte wie Kuniang. Sie bot ein leuchtendes Beispiel für den Erfolg des Prinzips, junge Menschen in einer Umgebung, die weder verderbt noch verlogen ist, sich selbst zu überlassen. Sie besaß die Gabe eines gesunden, fröhlichen Blicks über Gutes wie Böses und hielt sich nur selten damit auf, darüber nachzudenken, was davon eigentlich gut sei und was böse. Dem Reinen ist alles rein.
Unterdessen wuchs sie heran. Eines der ersten äußeren Merkmale der neuerworbenen Würde war, daß Kuniang sich einen Hund zu legte. Übrigens wäre es vielleicht richtiger zu sagen: ein Hund legte sich Kuniang zu.
Die meisten Rassehunde sind charakteristische Vertreter ihres Volkes. Ein Aberdeen-Terrier ist vom Scheitel bis zum Schwanz Schotte und ein Pekinese durch und durch das Kind der Verbotenen Stadt.
Der K’ai-men-ti meines Hauses besitzt ständig eine ganze Familie dieser Hündchen, die in seiner Wohnung nur so herumlaufen. Auf der Schwelle meines Hauses kann man oft einen kleinen, hochmütigen Pekinesen sitzen sehen, der sich das Getriebe der Straße besieht, während das dahinter kauernde «Herrchen» ihm Flöhe fängt, mit Bewegungen, die an den Affenkäfig gemahnen.
Kuniang war mit sämtlichen aufeinanderfolgenden Hundegenerationen befreundet, aber erst als sie die Schule verlassen hatte, schloß sich ihr einer der Hunde des K’ai-men-ti wirklich an. Man wirft den Pekinesen vor, sie seien hochmütig. Aber man sollte nicht vergessen, daß sie jahrhundertelang «Palasthunde» gewesen sind, eigene Dienerschaft besaßen und durch ihren hohen Rang von jeder Berührung mit minderen Menschen verschont blieben. Die ungewohnt achtungsvolle Behandlung Kuniangs durch die Fünf Tugenden muß den Hunden des K’ai-men-ti aufgefallen sein; denn plötzlich entschloß sich der vornehmste und unnahbarste von allen, der sich bis dahin ihre Freundlichkeiten nur mit wohlwollender Herablassung hatte gefallen lassen, ihr Hund zu werden.
Kuniang, die eben «Drei Mann in einem Boot» von Jerome las, nannte ihn «Onkel Podger». Sie behauptete, er wolle überall der erste sein und tue so, als regiere er das Haus. Die Boys nannten ihn hsiao-ko (Kleiner Hund), als wäre er der einzige. Sein wirklicher Name aber lautete Hwang Feng, das heißt Gelber Wind.
Onkel Podgers neugeborenes Untertanentum beleuchtete in charakteristischer Weise die geänderte Einstellung der Welt zu Kuniang. Sie war nicht mehr das Kind, dem ich aus Freundlichkeit, ja fast aus Erbarmen eine Zufluchtsstätte geboten hatte. Sie war ein Mitglied meines Haushalts geworden und besaß ihre Stellung darin. Die Fünf Tugenden erkannten wohl nur zu bald, daß sie sich in Angelegenheit der «Schmiergelder» auf meine Seite schlagen könnte, und legten es darauf an, das Band alter Sympathie zu verstärken.
Die Ausländerkolonie fand es keineswegs sonderbar, daß in meinem Hause ein hübsches junges Mädchen lebte. Peking ist ein Klatschnest und mit Vergnügen bereit, stets das Schlechteste zu glauben. Aber bedenkenlos nimmt es die ungewöhnlichsten Situationen hin, wenn sie sich nur mit den ortsüblichen Sitten vereinen lassen. Diese Denkungsart kennt keine Illusionen, ist aber auch nicht unbedingt bösartig.
Die Meinung der Chinesen zeigte sich in der Stellungnahme Mr. Yus, meines Hausherrn.
Als Mr. Yu uns wieder einmal einen seiner regelmäßigen Besuche abstattete, erkundigte er sich privatim bei Unvergleichlicher Tugend, ob ich Kuniang zur Gattin oder zur Konkubine erzöge. Kuniang selbst war es, die mir dieses Gespräch hinterbrachte. Sie fügte hinzu, Unvergleichliche Tugend habe
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