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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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zögerte daher einen Augenblick, einer Einladung zu folgen, die nicht von ihnen kam. Aber ich fand ihren Gast so bezaubernd, daß ich der Versuchung nicht widerstehen konnte, noch ein wenig mit dieser Frau beisammen zu sein. So verließ ich die Rikscha und begleitete sie und Kuniang ins Haus. Drinnen nahm ich Kuniang beiseite und erkundigte mich hastig nach dem Namen ihrer Freundin.
    «Sie nennen sie Elisalex», sagte Kuniang. «Ihren Zunamen weiß ich nicht. Wahrscheinlich will sie nicht, daß er bekannt wird.»
    «Elisalex», wiederholte ich. «Was für ein sonderbarer Name!»
    «Eine Abkürzung für Elisabeth Alexandra.»
    «Was macht sie hier?» fragte ich.
    «Sie soll in Rußland eine große Dame gewesen sein. Aber es ist irgend etwas passiert — was, das weiß ich nicht — und von da an hatte sie Unannehmlichkeiten. Angeblich ist sie Kommunistin geworden und wartet darauf, daß in Rußland eine Revolution ausbricht. Dann wird sie wieder nach Hause fahren.»
    Ich wollte eben antworten, daß mir noch nie jemand untergekommen sei, der weniger Ähnlichkeit mit Kommunisten gehabt hätte. Weit eher war sie ein Wrack der guten Gesellschaft, allerdings kein hoffnungsloses: ein seetüchtiges Schiff, das bloß für den Augenblick auf einer Untiefe festgefahren ist.
    In diesem Augenblick kam die Dame namens Elisalex wieder ins Zimmer; sie hatte Hut und Pelz abgelegt, und wir mußten das Gespräch über sie abbrechen.
    Ich trug es mit Fassung, daß weder Patuschka noch Matuschka zu Hause waren, bloß Fjodor und Natascha. Sie empfingen uns äußerst manierlich. Fjodor hatte ein russisches Kostüm an, über dunklen Hosen trug er eine in der Taille gegürtete Leinentunika mit gestickten Manschetten und gesticktem Kragen. Natascha war ein plumpes Geschöpf im unvorteilhaftesten Alter, sie stak in einem einfachen, nachthemdähnlichen Kleid aus Schantungseide. Bruder und Schwester besaßen glattes, aschblondes Haar ohne jeden Schimmer und verträumte graue Augen.
    Obgleich chinesische Häuser einander sehr ähnlich sind, bekommen sie durch ausländische Bewohner etwas von deren eigener Nationalität. In Patuschkas Hall stand ein riesiger eingebauter Ziegelofen, der eine geradezu tropische Hitze ausströmte. Von der Hall kam man in den Salon und von dort in ein großes Erkerzimmer — dieses Erkerzimmer war es offenbar, das Kuniang mir gegenüber einmal als «Schulzimmer» bezeichnet hatte.
    Im Salon standen ein riesiges Sofa und einige Fauteuils, mit einem scheußlich glänzenden Roßhaarstoff überzogen. Darauf lagen ein paar wunderschöne Polster aus chinesischem Brokat, die ganz und gar. nicht dazu passen wollten. Zwei martialische Porträts, Patuschka in Uniform und Matuschka im Abendkleid, verliehen dem Zimmer, das schon dank der Roßhaargarnitur etwas Düsteres hatte, noch mehr Düsterheit. Kuniang und Elisalex machten es sich sofort auf dem Sofa gemütlich und Fjodor setzte sich zu ihnen. Ich ging mit Natascha ins Schulzimmer, wo sie an einem angeheizten Samowar, der in der Ecke stand, Tee bereitete. Ich habe Arbeitszimmer gem. Sie lassen Charakter und Lebensweise ihrer Bewohner erraten.
    Das Schulzimmer der Russen war weit behaglicher als der Salon und wurde wahrscheinlich auch mehr benützt. Als allererstes fiel mir eine Stellage zwischen den beiden Fenstern auf. Dort standen eine Menge Spirituspräparate in Glaskrügen und Flaschen. Bei näherem Hinsehen ergab sich, daß es eine Sammlung von Spinnen in Alkohol war. Ich fragte, warum sie dort stünden, und Natascha erzählte, sie seien mit jahrelanger, unendlicher Mühe von ihrem Vater in ganz China gesammelt worden, für einen rumänischen Prinzen, der sich für Spinnen spezialisiert hatte. Er stellte Patuschka große Summen für diese Sammlung in Aussicht, aber als sie nahezu vollständig war, starb der rumänische Prinz, und niemand wollte mehr die Spinnen haben. Seither waren Spinnen ein heikles Thema in der Familie. Wer von Spinnen sprach, riskierte sein Leben. Sie erinnerten an vergeudete Mühe, an vergebliche Arbeit.
    Den Spinnen gegenüber stand ein Piano an der Wand. Es war geöffnet, und obenauf, quer über einem Stoß Noten, lag eine Geige samt Bogen. Ich warf einen Blick auf die aufgeschlagene Seite auf dem Notenständer: eine Sonate von Grieg für Klavier und Violine. Wenn Russen sich einmal die Mühe nehmen, zu musizieren, dann tun sie es meistens ausgezeichnet. Dieses Schulzimmer kannte wohl kaum das Entsetzen ähnlicher Heiligtümer in England:

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