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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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Mittagessen öffnete ich die großen Kampferholztruhen im Arbeitszimmer, und wir holten die Seidenstoffe heraus: Mandarinmäntel; Damastrollen; Vorhänge und Stickereien aus den kaiserlichen Gräbern (die von plündernden Soldaten gestohlen worden waren); Samte aus Nanking; schwere Seiden aus Che-kiang; leichte Seiden aus Shantung; Kosseus und Atlas: Erzeugnisse der Webstühle, die einst von den Inneren Provinzen als Tribut an den kaiserlichen Hof nach Peking gesandt wurden.
    Donald Parramoor studierte die einzelnen Stücke mit einem Eifer, der ihm mein ganzes Herz gewann.
    «Warum ist das wattiert?» fragte er und breitete ein wunderschönes Stück rosenfarbenen Atlas aus. «War es eine Bettdecke?»
    Ziemlich leise — die Schwestern, die am andern Ende des Zimmers mit Kuniang plauderten, sollten es nicht hören — antwortete ich:
    «In diese Decke wickelten die Eunuchen die nackte Konkubine, bevor sie sie durch die Höfe des Palastes trugen, um sie dem Kaiser aufs Bett zu legen.»
    «Ach nein! Sehen Sie, das nenne ich wahre Kultur! Es erinnert an Kleopatra im Teppich. Nur schade, daß die Damen einen Gelben Teint hatten. Es hätte viel hübscher ausgesehen, wenn sie beim Aufpacken des Paketes weiß gewesen wären.»
    Er versank wieder in der Truhe aus Kampferholz und holte ein paar Hofgewänder hervor.
    «Mir scheint, daß die hiesigen Schneider die Gestalt des Menschen keineswegs für Gottes Ebenbild gehalten haben. Sehen Sie einmal dieses Gewand an. Rostroter Atlas mit großen Stickereien in Gold und Blau, von der Farbe kleiner Schmetterlinge, der sogenannten . Das hier übrigens heißt , er erinnert an unseren Knötchenstich. Man kann unmöglich herrlichere Tönungen herausbringen, auch nichts in unserer Zeit der Anilinfarben. Aber der Schnitt! Hat je ein Mensch derart geformte Schultern gehabt?»
    «Dieses Gewand wurde nur einmal im Jahr getragen, beim Opfer auf dem Altar des Himmels», erklärte ich. «Vermutlich war der Besitzer ein wohlbeleibter alter Herr mit Bäuchlein und gichtverkrümmten Fingern. Selten nur findet man das Ebenbild Gottes in der Körperlichkeit hoher Beamter.»
    «Mag sein. Aber die Hofgewänder chinesischer Damen sind nicht um ein Haar besser. Da haben Sie eines, mit Wistarienzweigen bestickt; bezaubernd. Aber wozu hat eine Frau eine gute Gestalt, wenn man sie in weite Hosen und in eine weitärmelige kurze Jacke steckt? Ja, die Ägypter, die kannten sich aus. Erinnern Sie sich an die raffinierten Schnüre, mit denen die Harfen- und Flötenspielerinnen auf den Fresken der Pharaonengräber bekleidet sind? Einmal wollte ich das Ballett für den zweiten Akt so anziehen, aber die Direktion fand derartige Kostüme für die Metropolitan kaum geeignet. Eher für die Folies Bergères.»
    Kuniang war inzwischen näher gekommen und stand nun im vollen Licht des Fensters. Plötzlich packte Donald eine Rolle grünen Damastes — silberne Päonien auf apfelgrünem Hintergrund — und drapierte den Stoff um sie. Dann löste er mit ein paar geschickten Griffen ihr Haar und ließ die goldenen Strähnen über das Grün und Silber fallen.
    «Einen Smaragd auf die Stirn», erklärte er, «und zwei abstehende weiße Reiherfedern hinter die Ohren; Arme und Schultern nackt, Armringe aus grüner Jade. Das Kleid auf der einen Seite geschlitzt, damit man das Bein sieht. Silberne Sandalen, mit Smaragden besetzt. Die Lippen geranienrot. Die Augen mit Kohle geschwärzt. Und einen Räuberhauptmann im Kettenpanzer, der sie aus dem Sattel seines weißen Rosses hebt und über die Seidenteppiche seines Kriegszeltes geleitet: Tamerlan zeigt den zechenden Emiren seine Braut.»
     
     
     

2
     
    Ich konnte verstehen, daß Donald Parramoor bei jungen Damen beliebt war. Er gewann ihre Gunst durch schöne Kleider und durch die lustige Kunst des Kostümierens. Aber ich kam darauf, daß er sich auch beim reiferen Alter beliebt zu machen wußte. Kuniang wollte ihm das Haus zeigen, während ich mit seinen Schwestern plauderte. Als die beiden nach zwanzig Minuten noch nicht zurück waren, begaben wir uns auf die Suche und fanden Donald in angeregter Unterhaltung mit der Alten Gebieterin. Kuniang und Unvergleichliche Tugend machten den Dolmetsch. Diesmal drehte sich das Gespräch nicht um Kleider, sondern um Särge. Offenbar hatte Kuniang Donald erzählt, daß der Sarg der Alten Gebieterin vorläufig in Kost und Quartier gegeben sei, bis sie einmal sterbe. Donald war davon entzückt und bat die

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