Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
Vom Netzwerk:
Menschen: chinesische Boys, alte Männer, Kinder, eine ganze Reihe von Jungen, vertieft in Fjodors Lieblingsbeschäftigung (die mir Kuniang einmal verraten hatte): Drachen steigen zu lassen. Die jungen Körper zeigten Spannung und Bewegung, trotz der Verhüllung durch die lose sitzenden Kleider. Fjodor beherrschte sichtlich seine Anatomie. Da war eine Skizze von Kuniang, aber nicht sehr ähnlich. Mongolen in Lamamänteln und Kopfschmuck. Ein Aquarell, eine Gruppe von Ponys darstellend. Eines der Ponys war hellgelb, ein anderes tiefviolett. Es gefällt mir, wenn ein Künstler den Mut besitzt, seine Anschauungen zu vertreten und die Dinge so zu malen, wie er sie sieht oder zu sehen glaubt.
    Ich nahm die nächste Zeichnung zur Hand. Es war ein glutvolles Bild, rostfarben, das Aktporträt einer jungen Frau, die, die Hände um die Knie geschlungen und das Gesicht dem Maler zugewendet, auf einer Balustrade sitzt. Von der nackten Gestalt ging ein verführerischer Zauber aus. Das lange, in der Mitte gescheitelte Haar bedeckte Stirn und Ohren. Die Ähnlichkeit war unverkennbar: man mußte nicht erst die Worte darunter lesen: «Elisalex — Dezember 1916.» Fjodor hatte ihr volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, der schönen Frau, die ihm Modell gestanden war in der verwirrenden und bezaubernden Anmut ihrer natürlichen Reize.
     
     
     

Tai-Tai — unmöglich
     

1
     
    Eine Woche nachdem ich Elisalex kennengelernt hatte, brachte mir die Frühpost einen anonymen Brief, der sich mit ihr beschäftigte. Der Umschlag trug den Poststempel Peking.
    Das Schreiben war in Pidgin abgefaßt und der Absender nach der Schrift zu schließen ein Chinese, der besser mit dem Pinsel umgehen konnte, mit dem man chinesische Schriftzeichen malt, als mit der Feder. Der Brief begann mit der Mitteilung, daß in meinem Haus eine Jungfrau wohne, die jeden Tag bei einer russischen Familie sei (deren chinesischer Name angegeben wurde).
    «Diese Famili ganz schlechte Famili. Schul-Untellicht: nix! Betlagen: nix! Junge Sohn macht Dleck-Liebe. Hausflau macht puff-knuff.
    Chien-tien (jetzt) neue Flauenspelson is nach China gekommen. Wohnt zusamm in ein Haus. Diese Flau macht dleckige Dleck-Liebe. Is nicht gute Fleundschaft bei Fläulein. Walum kommt sie nach China? Sie macht dleckige Spiel. Bald sie leist wiedelum weg. Sie macht gloße Wackelei.
    Fläulein muß wissen: diese Tai-tai — unmöglich.»
    Ich zweifelte nicht eine Sekunde lang, wer diesen Brief geschrieben haben konnte. Nur mein ehemaliger Tingchai, der das Haus verlassen hatte, um sich berufsmäßig dem Schreiben anonymer Briefe zu widmen. Sein Pidgin war nicht einwandfrei (bloß die Kantonesen sprechen diese sonderbare Sprache in ihrer eigentlichen Form), ganz abgesehen von der selbstverständlichen Ersetzung aller R durch L. Aber ich bemerkte den feinen Unterschied zwischen «Dleck-Liebe» und «dleckiger Dleck-Liebe». Ersteres hieß einfach «herumliebeln, Liebelei treiben»; «dleckige Dleck-Liebe» dagegen etwas ganz anderes. Es bedeutete etwa Wollust oder Geilheit. Der Ausdruck bezog sich auf die neuangekommene Tai-tai.
    Ich war so gut wie sicher, daß diesen Brief die Fünf Tugenden bestellt und wahrscheinlich sogar bezahlt hatten. Sie bezogen Ehsalex in die Fehde ein, die zwischen ihnen und den Russen herrschte, seit Fjodor den Kleinen Lu am Zopf gezogen und die Alte Gebieterin nicht genügend ehrerbietig behandelt hatte.
    «Dleckige Spiel» hieß soviel wie Lug und Trug. Die Dame würde bald wegreisen und «gloße Wackelei» machen — mit anderen Worten: eine Revolution anzetteln. Demnach wußten die Fünf Tugenden, daß sie als Kommunistin galt. Ich fragte mich, ob meine Boys nicht am Ende mit den Boys der Russen verwandt seien und von dort «interne» Mitteilungen bezögen.
    Seit kurzem hatte ich mich beinahe damit abgefunden, daß Kuniang den Russen anvertraut worden war, obwohl ich diese Umgebung noch immer für ein junges Mädchen wenig geeignet fand, das nicht aus Matuschkas Volk und Kreisen stammte. Und was die neuangekommene Tai-tai betraf, so war sie meiner Meinung nach keineswegs eine wünschenswerte «Fleundschaft» für Kuniang. Doch was sollte ich machen? Kuniang schien von Elisalex begeistert und restlos einverstanden mit den Maßnahmen, die der Vater für sie getroffen hatte. Dabei hielt ich es für wahrscheinlicher denn je, daß Matuschka jetzt auch sie mit körperlichen Züchtigungen bedachte — der Brief nannte es «puff-knuff », wie sie zuzeiten Fjodor und

Weitere Kostenlose Bücher