Der Schneider himmlischer Hosen
solche Wendung erschien mir besorgniserregend, zumal wegen der Folgen, die sie auf den Krieg haben konnte.
Elisalex antwortete gleichgültig: «Grigori Efimowitsch oder Grischka, wie wir ihn nannten, hat vorausgesagt, daß man ihn ermorden wird und daß der Zar sechs Monate später Reich und Sohn verlieren soll. Die erste Hälfte der Prophezeiung ist wahr geworden.»
«Ich wußte nicht, daß er prophezeien konnte. Ich hielt ihn bloß für einen anrüchigen Schüler Mesmers, für einen Scharlatan.»
«Er war kein hundertprozentiger Scharlatan. Im Gegenteil, er verblüffte durch Aufrichtigkeit; und bestimmt besaß er eine prophetische Gabe. Die allerdings war ein verhängnisvolles Geschenk. Denn außer wenn es sich um die Gesundheit des Großfürsten Alexei handelte, waren alle Zukunftsvisionen Grischkas dunkel und düster. Er prophezeite eine Niederlage der Deutschen, aber zugleich eine Zeit der Marter für Rußland, wie sie noch nie dagewesen sei.»
«Hoffen wir, daß er ein falscher Prophet war — zumindest, was Rußland betrifft.»
Fjodor schloß sich meiner frommen Hoffnung an. Er nannte Grigori Efimowitsch den Zerstörer seines Landes und behauptete, nach seinem Tod müsse in Rußland alles wieder gut werden. Die leidenschaftliche Empörung in den Worten des Jungen gefiel mir. Er hatte Feuer und die Sicherheit der Jugend, trotz seiner träumerischen Augen. Elisalex ließ ihn reden und sagte nichts mehr, bis ich sie fragte:
«Wie kam es, daß ein solcher Mann so viel Macht über Rußland gewinnen konnte?»
«Seine Macht über die Zarin beruhte, wie Sie wahrscheinlich wissen, auf ihrem Glauben, er könne den Blutungen Einhalt gebieten, die das Leben des Zarewitsch bedrohen. Aber Grischkas Macht über die Rasputinisten — so heißen seine Anhänger — lag im Zauber seiner Lehre. Er lehrte, daß das Heil in der Buße liegt und in der Verzeihung. Um zu büßen und um Verzeihung zu erlangen, muß man gesündigt haben. Die Sünde ist der erste Schritt zum Heil. Sie können sich denken, daß es ihm an Jüngern nicht fehlte.»
«Sie haben doch auch zu seinen Anhängern gehört, nicht?» fragte Fjodor.
Eine taktlose Frage, dir nur ein Junge so grob fassen konnte. Elisalex schien nicht weiter beleidigt, aber sie wechselte das Thema.
«Grischka hat mir viel angetan», sagte sie. «Aber jetzt ist er tot. Lassen wir ihn in Frieden ruhen. Warum zeigst du uns nicht deine Zeichnungen, Fjodor? Unser neuer Freund will sie sehen!»
Fjodor stand auf, um die Skizzen zu holen. Während seiner Abwesenheit stockte das Gespräch, aber ich benützte die Zeit, Elisalex näher anzusehen. Sie trug ein Prinzeßkleid aus schwarzem Satin. Ihre Figur war tadellos: groß, biegsam, kräftig, die Linien gerundet, aber nicht betont. Die Franzosen nennen das «une fausse maigre». Sie hatte braune, grauschimmernde Augen, die an Achat gemahnten. Ihr Gesicht erinnerte mich an eine berühmte Schönheit des vorigen Jahrhunderts: an Cléo de Mérode. Ich habe diese Frau niemals persönlich gesehen, aber ihre Photographien in den Auslagen bewundert, als ich noch nicht zwanzig zählte. Gleich ihr trug Elisalex das Haar in der Mitte gescheitelt und zu beiden Seiten heruntergestrichen, so daß es den größten Teil der Stirn und die Ohren bedeckte. Diese Haartracht ist lang vergessen: einst hieß sie «à la vièrge». Ich fand es sonderbar, daß im Jahre 1917 eine junge Dame sich so frisierte. Aber es stand Elisalex ausgezeichnet, und während ich sie ansah, fiel mir ein italienisches Sprichwort ein, das ich von meiner Mutter gehört hatte: «Donna slava, tre volte donna.» (Slavische Frau — dreifach Frau.)
Ich wunderte mich auch ein wenig über die ungewöhnliche Herzlichkeit, die zwischen Elisalex und Kuniang herrschte. Diese Herzlichkeit zeigte sich weniger in Worten als im Benehmen der beiden. Rührende Zärtlichkeit lag in den Blicken, mit denen Elisalex Kuniang ansah, und diese wiederum bewies eine geradezu backfischhafte Begeisterung für die junge Frau. Natascha war — und merkte es vermutlich auch — alleingelassen in der Kälte.
Nach einigen Minuten kam Fjodor mit einer Mappe voller Skizzen zurück und legte sie auf ein Tischchen, das er neben mich hinstellte. Ich nahm die Zeichnungen zur Hand und sah sie an, eine nach der anderen. Sie verrieten ungewöhnliche Begabung; einige hatten kleine Fehler und Übertreibungen, die manchen Porträts etwas geradezu Karikaturistisches verliehen. Es waren fast lauter Darstellungen von
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