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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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über seinem grauen Seidengewand eine ärmellose, schwarze, pelzbesetzte Jacke trug. Kuniang stellte ihn mir als den «Familienzauberer» vor; offenbar war er es, den die Fünf Tugenden in Familienangelegenheiten zu Rate zogen und der wohl auch die besorgt hatte, mit der sie Elisalex verzaubern wollten.
    Es ist nahezu unmöglich, längere Zeit in China zu leben, ohne daß man in irgendeiner Form mit Magie in Berührung kommt und gegen besseres Wissen von ihr beeinflußt wird. Von mir aus mochten die Fünf Tugenden ruhig die Asche chinesischer Sprichwörter mit Tee aufgießen, solange nicht ich diesen Tee zu trinken bekam. Aber es paßt mir ganz und gar nicht, in übersinnliche Experimente hineingezogen zu werden. Daher war ich auch nicht übermäßig erfreut, als Kuniang mit dem Familienzauberer anrückte. Sie erklärte, sie wolle sich wahrsagen lassen, und setzte hinzu:
    «Ich verstehe ihn nicht. Er spricht die Mandarinensprache. Da ich nicht gern den Kleinen Lu zu Hilfe rufen möchte, habe ich mir gedacht, daß du vielleicht helfen kannst.»
    Ich brummte etwas von «unwürdigem Ersatz für den Kleinen Lu» und forderte äußerst widerstrebend den Zauberer auf, einzutreten. Ich bot ihm Platz an und eine Zigarette und fragte nach seinem ehrenwerten Namen.
    Er sagte, er heiße Wang (man würde nicht glauben, wie viele Millionen Wangs es in China gibt!) und lebe in den Westbergen. Er war Spezialist in Feng Shui: das heißt, man zog ihn zu Rate, um die richtige Örtlichkeit und Lage von Häusern und Tempeln , mit Rücksicht auf die Geister des Windes und des Wassers herauszubekommen. Aber auch in Angelegenheit des persönlichen Lebens wurde er um Rat gefragt.
    Dabei fiel mir eine Geschichte ein, die ich kürzlich über einen «Magier Wang aus den Westbergen» gehört hatte: bei einem politischen Bankett, zu dem er eingeladen war, um die Gäste zu unterhalten, hatte er Sensation hervorgerufen. Zu jener Zeit erholten sich die nördlichen Provinzen eben von dem Schrecken über die geheimnisvolle Ermordung eines berühmten Generals. Einer der Teilnehmer des Banketts, der offenbar über den Durst getrunken hatte, fragte den Zauberer in höhnischem Ton, ob er nicht über dieses kürzlich vorgefallene Ereignis etwas aussagen wolle. Worauf Wang erwiderte:
    «Einigen Gästen dieses Banketts könnte ich über den Tod des verewigten Generals keinerlei Mitteilung machen, die sie nicht schon wüßten.»
    Der zweideutige Satz klang unheildrohend, und kurze Zeit später verabschiedeten sich zwei der Teilnehmer. Der Zauberer wurde keinem politischen Bankett mehr zugezogen. Kuniang aber wollte ihn doch befragen.
    Wir hatten uns kaum niedergesetzt, als Unvergleichliche Tugend erschien — wie immer, wenn Besuch kommt — und Tee servierte, den er auf einem Tischchen vor Herrn Wang niederstellte. Anfangs verzichtete Kuniang auf eine Übersetzung, und es ergab sich auch keine Notwendigkeit dazu. Der Zauberer ergriff ihre Hände und besah sie aufmerksam, indem er sie zwischen seinen schlanken Fingern hin und her drehte. Er studierte nicht die Linien wie die Chiromanten, sondern er betrachtete auch Kuniangs Gesicht und stellte anscheinend Berechnungen an. Aber nachdem er Hände, Gesicht und Erscheinung eine Weile studiert hatte, schüttelte er den Kopf und erklärte, es sei nichts Besonderes über Kuniang auszusagen. Ich fand dieses Vorgehen einigermaßen taktlos, und Kuniang war begreiflicherweise enttäuscht.
    «Wie wird mein zukünftiges Leben aussehen», fragte sie.
    Wang dachte über die Frage nach, dann antwortete er :
    «Ich sehe Lachen, ich sehe Weinen, und zuletzt sehe ich Frieden.»
    Ich erklärte, daß das Leben der meisten Menschen aus Lachen und Weinen bestünde, und daß zuletzt uns allen Friede beschieden sei. Herr Wang gab das auch zu. Aber er wollte nichts mehr hinzufügen. Noch nie hatte ich einen Mann gesehen, der so restlos auf die Tricks seines Gewerbes verzichtete.
    «Werde ich denn niemals etwas Interessantes erleben?» erkundigte sich Kuniang.
    Ich weiß nicht, was Herr Wang als «interessant» bezeichnete, aber mit großer Sicherheit erwiderte er: «Nein.»
    Nur schwer verbiß ich das Lachen. Die Séance hatte keinen Erfolg.
    «Werde ich heiraten?» fragte Kuniang.
    «Aber ja. Gewiß werden Sie heiraten.»
    Herr Wang fand es anscheinend wenig interessant, ob man heiratete oder nicht.
    «Glauben Sie, daß ich ein Filmstar werden kann?»
    Herr Wang hatte keine Ahnung, was das ist, ein Filmstar.

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