Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
Vom Netzwerk:
ewiger Liebe und ewigem Glück. An einem nicht allzufernen Tage werden Sie Kuniang küssen, wie Sie jetzt mich geküßt haben, auf Lippen und Augen. Kuniangs Gesicht wird warm sein und zärtlich und süß. Süßer als das meine.»
    Sie hob die Hand zu flüchtig segnender Gebärde.
    «Gott sei mit euch, liebe Kinder!»
     
     
     

Der Familienzauberer
     
    Am nächsten Tag kam Kuniang zu mir; sie trug eine kleine Emaildose in der Hand und sah ängstlich und bekümmert drein. Ich erkundigte mich, was los sei.
    «Eigentlich nichts Besonderes. Die Fünf Tugenden haben Elisalex einen Streich gespielt.»
    «Wieder etwas Derartiges?» fragte ich, öffnete die Mittellade des Schreibtisches, nahm den anonymen Brief heraus und reichte ihn Kuniang.
    Sie nahm das Schreiben und las es durch. Es machte ihr anscheinend wenig Eindruck.
    «Haben die Fünf Tugenden das geschrieben?»
    «Meiner Meinung nach haben sie es diktiert. Geschrieben wurde der Brief wohl von unserem früheren Tingchai. Was haben sie jetzt angefangen?»
    Kuniang legte die Emaildose auf den Schreibtisch. Ich hob sie auf und öffnete sie. Eine Sekunde lang dachte ich, Kuniang hätte mir die Hälfte des Kristallsiegels gebracht. Aber die Dose war leer. Fragend sah ich auf.
    «Da ist ja nichts drin!» sagte ich.
    «Das ist es eben», erwiderte sie. «Gestern war etwas drin.»
    «Was denn?»
    «Ein winziger Zettel mit einer chinesischen Aufschrift. Der Kleine Lu brachte ihn mir mit Auftrag der Alten Gebieterin und richtete mir aus, ich möge das Papier verbrennen und die Asche Elisalex in einer Tasse Tee zu trinken geben.»
    «Aha. Eine sogenannte der Chinesen. Man bekommt sie im Tempel Kuang-tis, in der Oststadt.»
    «Diesmal dürfte es der Familienzauberer gewesen sein, von dem die Alte Gebieterin den Zettel hat.»
    «Aber was soll die Asche im Tee deiner Freundin? Was hat das Ganze für einen Zweck?»
    «Keine Ahnung. Natürlich habe ich den Rat auch nicht befolgt. Aber die Fünf Tugenden trauen Elisalex nicht. Sie wollen, daß sie Peking verläßt.»
    «Was stand denn auf dem Papier? Weißt du es zufällig?»
    «Jawohl. Der Kleine Lu hat es mir gesagt. Es stand darauf: »
    «Das ist wohl die chinesische Übersetzung von:
     
    Ein Fräulein lebte am Niger,
    Ritt lächelnd davon auf ‘nem Tiger.
    Am Abend waren sie wieder herinnen,
    Das Fräulein innen,
    Dafür lächelte jetzt der Tiger.»
     
    Kuniang lachte.
    «Was hat das mit Elisalex zu tun?» fragte sie. «Und wer ist der Tiger, auf dem sie angeblich reitet?»
    «Vor einem Jahr hätte man vielleicht glauben können: Rasputin. Doch der ist heute tot. Ich habe keine Ahnung, auf wen sich das jetzt bezieht. Die Chinesen wollen mit diesem Sprichwort sagen, daß es zuweilen gefährlich ist, auf die Macht zu verzichten. Aber du hast mir nicht gesagt, was dich beunruhigt. Was ist denn geschehen?»
    «Nichts, als daß Unvergleichliche Tugend, weil ich nichts dergleichen tat, das Papier offenbar selbst verbrannt und die Asche in den Tee getan hat, den er Elisalex gestern nachmittag servierte.»
    «Und sie hat sie mitgetrunken?»
    «Wahrscheinlich. Ich habe mit Unvergleichlicher Tugend noch nicht gesprochen. Ich wollte die Sache zuerst dir erzählen.»
    Ich dachte ein Weilchen nach, ehe ich eine Meinung äußerte. War die seltsame Szene gestern zwischen Elisalex und mir die Wirkung eines chinesischen Zaubers? Es schien mir wenig wahrscheinlich. Aber Kuniang sah noch immer bekümmert drein, darum versuchte ich, sie zu beruhigen.
    «Ein Aufguß chinesischer Sprichwörter dürfte Elisalex kaum ernstlich geschadet haben, außer sie wäre an der Asche erstickt — und das ist doch anscheinend bisher nicht geschehen.»
    «Du meinst also, ich soll die Sache auf sich beruhen lassen?»
    «Sag Unvergleichlicher Tugend, du zögest es vor, wenn man deinen Gästen Tee ohne Asche vorsetzte. Aber ich würde das Ganze nicht zu ernst nehmen. Sie haben ja nicht Arsenik in den Tee getan.»
    Kuniang verließ mich, um Unvergleichlicher Tugend ihre Meinung zu sagen. Alleingeblieben, versuchte ich zu ergründen, warum die Fünf Tugenden Elisalex so feindlich gesinnt waren.
    Eines Nachmittags, eine Woche später, stand ich bei der Tür zum Arbeitszimmer und studierte den Himmel, ob ein Sandsturm zu befürchten oder Regen zu erhoffen sei. Dabei sah ich, daß mir Kuniang auf dem gepflasterten Weg entgegenkam, begleitet von einem würdigen, elegant gekleideten Chinesen, der

Weitere Kostenlose Bücher