eine Persönlichkeit, die im Ewigweiblichen wurzelt.
Ihre Erzählung hatte mich weit weggeführt von der russischen Familie in Peking, von Kuniang und vom Heim der Fünf Tugenden. Elisalex behauptete von sich, sie sei eine Buhldirne gewesen und habe Dinge getan, die jedes Maß überschritten; ich sah keinen Grund, ihre Worte zu bezweifeln oder anzunehmen, daß sie ihre Macht und ihre Schande übertrieb. Aber sie hatte ihre Rolle auf einer größeren Bühne gespielt, als ich erwartete. Vielleicht fand sich ihre Geschichte wirklich noch einmal in dickleibigen Wälzern über Niedergang und Sturz des Zarismus.
Ich dachte ein Weilchen nach und fragte:
«Und was ist schließlich geschehen, daß Sie in die Verbannung mußten? Nur wenig Günstlingen Rasputins war ein solches Schicksal beschieden.»
«Das stimmt. Meist waren es seine Feinde, denen der Boden zu heiß wurde. Aber ich hatte das Pech, daß mich Grischkas Protektoren verdächtig fanden. Das begann damals, als er vergaß, zum Weihnachtstisch der Zarin in den Winterpalast zu kommen. Fieberhaft durchsuchte die Geheime Staatspolizei ganz Petersburg nach Grischka und fand ihn schließlich — in meinem Haus.
Dann kam die berühmte Geschichte im Restaurant Jar in Moskau. Ich weiß nicht, ob sie bis nach Peking gedrungen ist. Das Ganze war bloß ein Trunkenheitsexzeß, wie er jeden Abend vorkam, sogar während des Krieges. Die Geschichte ereignete sich im Frühjahr 1915. Grischka und ich waren zum Souper in den Petrowskij-Park eingeladen worden. Wie gewöhnlich befanden sich Balalaikaspieler und ein paar Zigeuner dort. Grischka benahm sich an jenem Abend noch unmöglicher als sonst. Er fing an, sich seiner Eroberungen unter den Petersburger Damen zu rühmen, zählte sie der Reihe nach auf und beschrieb ihre intimsten körperlichen Reize. Dann kam die Zarin dran; er nannte sie nur starja shenschtschina — altes Weib. Er zeigte uns ein gesticktes, ärmelloses Wams, das er unter dem Leibrock trug, Und erzählte, die Alte habe es eigenhändig für ihn gestickt; er könnte mit ihr machen, was er wolle. Die andern Gäste wurden allmählich nervös und unruhig. Grischka verlor jede Selbstbeherrschung. Unter den Zigeunerinnen waren auch ein paar hübsche Frauen. Er holte sich eine und begann sie zu belästigen, aber die Gäste mengten sich ein und trennten ihn von ihr. Dann packte er mich, stellte mich zwischen Schüsseln und Gläsern auf den Tisch und versuchte, mir die Kleider herunterzureißen. Dabei erklärte er, wenn die
jünger wäre, dann würde er so mit ihr verfahren. Ein paar Leute bemühten sich, einzugreifen, aber Grischka schien vom Teufel besessen. Er löste seinen Ledergürtel und schlug damit auf die andern los. Die Gastgeberin warf ein Bündel Banknoten auf den Tisch, um das Souper zu bezahlen, und ergriff die Flucht. Die übrigen folgten ihrem Beispiel. Sogar die Zigeuner verdufteten.
Die Sache zog einen fürchterlichen Skandal nach sich. Den Namen der Zarin mit einer solchen Orgie in Verbindung zu bringen, das war Gotteslästerung. Grischkas Feinde sahen die Gelegenheit gekommen, ihn zu stürzen, und seine Freunde scharten sich zusammen, um ihn zu verteidigen. Der Polizeipräfekt begab sich höchst persönlich nach Zarskoje Selo, um dem Zaren Bericht zu erstatten. Aber der Palastkommandant verhinderte die Audienz. Nur auf indirektem Weg erfuhr der Zar von der Geschichte. Woraufhin eine offizielle Untersuchung den Bericht bestätigte. Aber Grischkas Macht über die Zarin hielt sogar diesen vernichtenden Beweisstücken stand. Sie erklärte, der heilige Mann sei vom Teufel versucht worden und nur mit knapper Not durch göttliche Hilfe entronnen. Ich wäre die Versucherin gewesen, das Medium höllischer Mächte. So traf alle Schuld mich. Im allgemeinen werden Aristokraten, die in Ungnade fallen, bloß auf ihre Güter verbannt. Ich aber entging der Ochrana nur dank der Hilfe mächtiger Freunde. Glücklicherweise geriet infolge der Kriegssorgen der Fall bald in Vergessenheit. Ich durchquerte Sibirien und gelangte nach Charbin. Dann kam ich hierher und suchte Zuflucht bei Patuschka und Matuschka.»
«Was für eine Odyssee! Und jetzt sehen Sie sich in Kuniangs Begleitung Peking an?»
«Ja, wenn Sie es mir gestatten. Sie werden begreifen, daß eine Frau wie ich Freude an Kuniangs Gesellschaft hat. Sie ist genau das, was ich verloren habe. Ich finde sogar, daß sie in mancher Hinsicht an mich erinnert, als ich ebenso alt war.»
«Du lieber