Der Schneider himmlischer Hosen
zu Hause zu lassen.»
«Welche Sprache sprechen wir?»
«Ich glaube, Russisch.»
«Ich kann nicht Russisch, oder zumindest kaum, bloß ein paar Worte, die ich bei Matuschka aufgeschnappt habe.»
«In Wirklichkeit kann auch ich nicht Russisch. Aber ich war ein anderer als jetzt. Ich fühlte mich in mancher Hinsicht größer, und als wichtige Persönlichkeit. Ich war ganz in Schwarz gekleidet, trug einen langen, hemdartigen Rock mit Gürtel und silberne Patronentaschen. Eine Astrachankappe lag neben mir auf dem Boden. Aus zwei Gründen aber könnte der Traum — auch jetzt noch — beinahe wahr sein: ich sagte Ihnen immer wieder, Sie sollten sich beeilen, sonst kämen wir zu spät. Bekanntlich werden Sie ja nie rechtzeitig fertig!»
«Und was war der andere Grund?»
«Daß ich Sie liebe.»
Kuniangs Augen leuchteten auf wie die Brillanten in Pauls Geschichte.
«Das wundert mich nicht», sagte sie schalkhaft. «Ich muß ja eine recht gute Partie gewesen sein, mit dem vielen Schmuck.»
Liebe
Einige Tage nach unserem Ausflug zum Lamatempel hatte Kuniang Kopfschmerzen und erschien nicht zum Mittagessen. Abends kam sie wie gewöhnlich zu mir ins Arbeitszimmer, war aber blaß und erregt. Ich merkte, daß etwas vorgefallen sein mußte, und schloß aus den wenigen Worten, mit denen sie meine Fragen beantwortete, daß sie von Pauls Krankheit und baldigem Ende erfahren hatte. Armes Kind! Was immer sie erträumt haben mochte — das Erwachen ließ nicht lange auf sich warten.
Das Essen an jenem Abend wurde zu einer traurigen Mahlzeit. Nachdem wir aufgestanden waren, ging Kuniang in ihr Zimmer, Paul leistete mir noch eine Weile Gesellschaft, rauchend, schweigend. Dann zog auch er sich zurück.
Ich saß noch etwa eine Stunde beim Schreibtisch und versuchte zu lesen. Aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Daher ging ich gegen elf ins Schlafzimmer und zu Bett. Aber ich konnte auch nicht schlafen. Die Fenster standen weit offen, und Flieder und Goldregen dufteten herein. Blumenduft macht mich stets ruhelos. Es war mir zumute wie den Tieren im Dschungelbuch, in denen der Frühling rumort.
Nachdem ich mich einige Stunden ruhelos umhergewälzt hatte, stand ich auf, zog Dressinggown und Hausschuhe an und trat hinaus in das silbrige Licht des abnehmenden Mondes. Es war sehr warm und still.
Ich ging durch den Garten und scheuchte ein paar Katzen auf, die über die Mauer herübergeklettert waren. Dann ging ich durch die Höfe. Nie sehen sie so bezaubernd aus wie in einer Mondnacht.
Kuniangs Pavillon und das Gastzimmer — das derzeit Paul bewohnte — liegen im selben Hof, einander gegenüber. Beider Fenster waren dunkel. Aber das Geräusch meiner Schritte wurde von einem scharfen Bellen aus Kuniangs Pavillon beantwortet. Ich hatte Onkel Podger aufgeweckt. Einen Augenblick später flammte Licht auf und erleuchtete matt das Fenster. Kuniangs Schatten wurde sichtbar; sie kam zur Tür und sah heraus. Ich konnte gerade noch ihre Anwesenheit erkennen, aber es war zu finster, um deutlicher zu sehen.
«Bist du es?» fragte sie.
Sie hatte nicht gesagt, wen sie meinte. Aber das volle Licht des Mondes beleuchtete mich.
«Ja», erwiderte ich. «Ich kann nicht schlafen; darum strolchte ich herum. Onkel Podger hielt mich für einen Einbrecher.»
«Wart einen Augenblick», sagte Kuniang. «Ich komme zu dir hinaus. Ich kann auch nicht schlafen.»
Sie schloß die Tür, und es vergingen fast fünf Minuten, bevor sie wieder erschien. Dann kam sie heraus, über die Stufen in den Hof, und Onkel Podger trottete hinter ihr drein. Rumorte vielleicht auch ihm der Frühling im Blut? Wenn ja, dann war er jedenfalls zu würdevoll, um seine Gefühle zu zeigen.
«Verzeih, daß es so lange gedauert hat», sagte Kuniang. «Ich konnte den neuen Pyjama nicht finden.»
Ich stellte fest, daß ihr blauer Seidenpyjama recht unberührt aussah und noch frische Bügelfalten aufwies. Sie mußte eben hineingeschlüpft sein.
«Lagst du denn nicht im Bett?»
«O ja. Aber ich bin so dran gewöhnt, nichts zum Schlafen anzuziehen, daß ich meistens vergesse, die schönen Pyjamas zu nehmen, die du mir geschenkt hast. Es täte mir leid, wenn du mich deshalb für undankbar halten solltest.»
Kuniang sprach ruhig und sogar müde: kein Wunder, wenn man eben aus dem Bett gestiegen ist, um im Mondlicht herumzustrolchen. Sie warf einen Blick auf Pauls dunkles Fenster und fügte hinzu:
«Sicher schläft er. Er hat mir erzählt, daß er Veronal nimmt,
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