Der Schneider himmlischer Hosen
legte ihn neben sich. Der Abt stand vor ihr. Vermutlich wußte auch er nicht recht, was er mit der Wartezeit anfangen sollte, bis Paul schlief. Aber im Gegensatz zu mir zeigte er keinerlei Ungeduld. Als Kuniang den Hut abnahm, hefteten sich seine Augen auf ihre Stirne, auf das halbmondförmige Muttermal. Er kam ganz nahe und strich ihr mit der Hand sanft das Haar aus der Stirn, um besser zu sehen. Sie boten einen malerischen Anblick, wie sie sich vom Hintergrund des Tempelhofes abhoben: das junge Mädchen mit emporgewandtem Gesicht und der hochgewachsene Asiate, der sich über sie neigte. Der Schönheit ihres Haares war die Schönheit seiner Hände ebenbürtig.
Seit jeher bewundere ich die Hände der Chinesen. Wie oft habe ich europäische oder amerikanische Mitglieder des Geldadels aus dem Hotel des Wagons Lits kommen sehen, tadellos rasiert, gepflegt und manikürt, dicke Zigarren in den beringten Fingern, während die Rikschakulis zum Eingang stürzten und um den Fahrgast balgten. Der «Fremde Teufel» traf seine Wahl, und dann liefen sie los, mit ostentativer Anfangsgeschwindigkeit, zu den Antiquitätenhändlern, zum Winterpalast oder zu den ausländischen Gesandtschaften. Verglich man den im Gefährt sitzenden Herrn der Schöpfung mit dem Arbeitstier, das zwischen den Stangen lief, so hatte dieses die schöneren Hände.
Die Hände des Abtes waren kräftig, obgleich man unter der glatten Haut die Sehnen nicht sehen konnte. Es waren starke Hände, obgleich sie mehr geistige als körperliche Stärke verrieten. Und sie waren stumm — unergründlich stumm. Italiener, Franzosen sprechen vermittels der Hände. Aber der Abt entstammte einem Volk, das seit vielen Generationen die Hände unter langen Ärmeln verborgen hält. Es waren schweigende Hände, hochmütig und geheimnisvoll. So könnten die Hände Buddhas ausgesehen haben.
Als der Abt das Muttermal auf Kuniangs Stirn betrachtet hatte, lächelte er ihr zu und sagte in seinem stockenden Französisch: «Wenn Ihr Freund wirklich einschläft, wollen wir ihn von Ihnen träumen lassen.»
Er schritt in die Mitte des Hofes, auf ein paar eben erblühende Fliederbüsche zu. Über dem Flieder flatterten zwei weiße Schmetterlinge. Anscheinend liebte der Abt die Natur, denn er besah eingehend die Rispen der noch nicht geöffneten Blüten. Als er die Schmetterlinge bemerkte, wandte sich seine Aufmerksamkeit ihnen zu, Und dann tat er etwas Seltsames. Er streckte die Arme aus wie zum Segen. Im nächsten Augenblick kam zum Mittelfinger jeder Hand ein Schmetterling geflogen und ließ sich mit geschlossenen Flügeln darauf nieder. Da stand der Abt, auf jeder Hand einen weißen Schmetterling. Er wandte das Gesicht Kuniang zu und lächelte, als wolle er ihr zeigen, was er eben vollbracht hatte.
«Sie sind sicher nur zufällig hingeflogen», sagte Kuniang zu mir. «Er kann sie doch nicht gerufen haben!»
«Ich glaube nicht, daß es reiner Zufall war», erwiderte ich, «obgleich ich so etwas noch nie gesehen habe. Er erinnert an Kiplings :
Kein König war wie Salomo,
Nicht, seit die Welt begann,
Und Salomo sprach zum Schmetterling
Wie ein Mann zum andern Mann.»
Kuniang stand auf und ging vorsichtig zum Abt hinüber. Er ließ sie ganz nahe herankommen, so daß sie die Schmetterlinge sehen konnte, die auf seinen Fingern schwebten. Dann schüttelte er sie sanft ab. Mit staunenden Augen starrte ihn Kuniang an.
«Können Sie das wiederholen?» fragte sie.
Der Abt hob die Hände über den Kopf, denn die Schmetterlinge waren aufgeflogen. Einige Sekunden lang schien es, als sähen sie die Hände nicht. Aber geduldig wartete er und siehe da, sie kamen zurück, erst der eine, dann der andere, und ließen sich auf seinen Fingerspitzen nieder.
Einige Minuten später ging der Abt zur Tür des Zimmers, in dem sich Paul befand, und sah hinein. Dann machte er uns ein Zeichen, wir sollten uns möglichst lautlos verhalten, und verschwand drinnen. Unter dem Einfluß der Opiumschwaden aus dem Becken war Paul eingeschlafen. Kuniang und ich schlichen auf den Zehenspitzen zur offenen Tür, und über ihre Schulter sah ich hinein. Der Abt saß auf dem Kang, seine Finger lagen leicht auf Pauls Handgelenk. Ich fragte mich, was diese Finger nun für Wunder tun würden. Im Zimmer war es finster und kühl.
Da sich scheinbar nichts ereignete, wurde ich des Zusehens bald müde und ging wieder in den Hof hinaus. Kuniang blieb in der Tür stehen.
Die
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