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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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selbst seiner Louisa treu bleibt. So ist er nun mal, und du kannst das so oder so sehen, kompliziert oder ganz simpel. Harry hat für jeden einen Traum. Harry erträumt sich für jeden von uns ein Leben und träumt jedesmal das Falsche. Denn erstens will ich nicht aus Panama weg. Ich will hierbleiben, für ihn bei der Polizei lügen, an seinem Bett sitzen, wie er an meinem gesessen hat, und ich will herausfinden, was schiefgegangen ist, und es in Ordnung bringen. Ich will ihm sagen, steh auf und humple durchs Zimmer, denn solange du liegenbleibst, kannst du an nichts anderes denken, als daß du noch einmal zusammengeschlagen wirst. Aber wenn du aufstehst, wirst du wieder ein Mensch und findest deine Würde wieder. Und zweitens kann ich Panama gar nicht verlassen, weil die Polizei mir den Paß abgenommen hat, als kleinen Ansporn, ihn auszuspionieren.
    Siebentausend Dollar.
    Sie hatte das Geld auf dem Arbeitstisch gezählt, im schwachen Licht des Fensters über ihr. Siebentausend Dollar aus seiner Gesäßtasche, er hatte sie ihr wie heißes Geld in die Hand gedrückt, als er von Mickies Tod erfahren hatte – hier, nimm das, es ist Osnards Geld, Judasgeld, Mickies Geld, jetzt gehört es dir. Man sollte meinen, daß ein Mann, der vorhat, was Harry vorhat, sein Geld lieber für alle Fälle für sich behält. Geld für die Beerdigung. Geld für die Polizei. Geld für chiquillas . Aber Harry hatte kaum den Hörer aufgelegt, als er auch schon das Bündel aus der Tasche zog, um jeden einzelnen dieser schmutzigen Dollars loszuwerden. Wo hat er das Geld her? hatte die Polizei sie gefragt.
    »Sie sind doch nicht dumm, Marta. Sie können lesen, studieren, Bomben basteln, Aufruhr anzetteln, Demonstrationen anführen. Wer hat ihm das Geld gegeben. Hat er es von Abraxas? Arbeitet er für Abraxas, und arbeitet Abraxas für die Briten? Was gibt er Abraxas dafür?«
    »Ich weiß es nicht. Mein Arbeitgeber sagt mir nie etwas. Verlassen Sie meine Wohnung.«
    »Er schläft mit Ihnen, oder?«
    »Nein, er schläft nicht mit mir. Ab und zu besucht er mich, wenn ich Kopfschmerzen und Brechanfälle habe, und weil er mein Arbeitgeber ist und weil er dabei war, als ich zusammengeschlagen wurde. Das ist doch nur menschlich, und im übrigen ist er glücklich verheiratet.«
    Nein, er schläft nicht mit mir, das zumindest entsprach der Wahrheit, auch wenn ihr die Preisgabe dieser kostbaren Wahrheit schwerer fiel als irgendwelche bequemen Lügen. Nein, Kommissar, er schläft nicht mit mir. Nein, Kommissar, ich fordere ihn nicht dazu auf. Wir liegen auf meinem Bett, ich lege ihm meine Hand zwischen die Beine, aber nur von außen, er schiebt mir seine Hand in die Bluse, aber mehr als eine Brust erlaubt er sich nicht, obwohl er weiß, daß er mich jederzeit ganz haben kann, denn im Grunde hat er mich bereits ganz, aber er kann nicht, weil er Schuldgefühle hat, noch mehr Schuldgefühle hat als Sünden. Und ich erzähle ihm Geschichten, wer wir sein könnten, wenn wir noch einmal jung und mutig wären und zurückversetzt in die Zeit, bevor man mir mit Knüppeln das Gesicht weggenommen hat. Und das ist Liebe.
    Marta hatte wieder schlimme Kopfschmerzen, und ihr war schlecht. Sie stand auf, hielt das Geld mit beiden Händen umklammert. Sie konnte es keine Minute mehr im Arbeitsraum der Kunafrauen aushalten. Sie ging durch den Flur bis vor die Tür ihres Büros, blieb wie eine Touristin, die in hundert Jahren hier herumgeführt werden würde, auf der Schwelle stehen, sah hinein und sprach zu sich selbst den erläuternden Kommentar:
    Hier hat die Mulattin Marta gesessen und dem Schneider Pendel die Bücher geführt. Dort auf den Regalen sehen Sie die soziologischen und historischen Werke, die Marta in ihrer Freizeit gelesen hat, um in der Gesellschaft voranzukommen und die Träume ihres verstorbenen Vaters zu erfüllen, der Zimmermann war. Als Autodidakt legte der Schneider Pendel Wert darauf, daß auch seine Angestellten, insbesondere aber die Mulattin Marta, sich weiterbildeten und ihre Möglichkeiten maximal ausschöpften. In dieser Kochnische hat Marta ihre berühmten Sandwiches gemacht, sämtliche Prominenten von Panama haben mit angehaltenem Atem von Martas Sandwiches gesprochen, auch der berühmte Spion und Selbstmörder Mickie Abraxas; ihre Spezialität war Thunfisch, aber im Grunde ihres Herzens hätte sie das ganze Pack am liebsten vergiftet, ausgenommen Mickie und ihren Arbeitgeber Pendel. Und dort, in der Ecke hinter dem Schreibtisch, sehen wir

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