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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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auf Zivilisten.«
    Und Pendel, weil er sie liebte, fand es am hilfreichsten, sie in diesem Glauben zu lassen, während El Chorillo unter den wiederholten Attacken aller möglichen Waffensysteme, die das Pentagon jetzt endlich einmal ausprobieren konnte, jammernd in Schutt und Asche fiel.
    »Marta wohnt da unten«, sagte er.
    Aber eine Frau, die Angst um ihre Kinder hat, hat um niemand anderen Angst, und am Morgen ging Pendel allein den Hügel hinunter, von einer Stille umgeben, wie er sie während all der Jahre in Panama City noch nie erlebt hatte. Die Feuerpause zwischen den Parteien, so erkannte er plötzlich, war unter der Bedingung zustande gekommen, daß niemand mehr Klimaanlagen benutzen, niemand mehr bauen, graben und baggern durfte, daß sämtliche Autos, LKWs, Schulbusse, Taxis, Müll-, Polizei- und Krankenwagen von nun an bis in alle Ewigkeit aus Gottes Angesicht verbannt sein sollten, und daß Kindern und Müttern das Schreien bei Todesstrafe verboten war.
    Auch aus der mächtigen schwarzen Rauchsäule, die über den Trümmern von El Chorillo in den Morgenhimmel aufstieg, drang nicht das leiseste Geräusch. Nur ein paar wenige Unzufriedene hielten sich wie üblich nicht an die Sperre: das waren die auf dem Gelände der comandancia verbliebenen Scharfschützen, die immer noch wahllos auf amerikanische Stellungen in der näheren Umgebung schossen. Die auf dem Ancón Hill stationierten Panzer mußten ein wenig nachhelfen, um auch sie schließlich zum Schweigen zu bringen.
    Nicht einmal das Telefon vor der Tankstelle war von der selbstlosen Verordnung ausgenommen. Es war unbeschädigt. Es funktionierte. Aber Martas Anschluß war tot.
     
    Trotzig an seinem frisch erworbenen Status als reifer Einzelgänger vor lebenswichtiger Entscheidung festhaltend, schwankte Pendel wie üblich zwischen treuer Hingabe und chronischem Pessimismus mit einer wilden Unentschlossenheit, die ihn aus der Bahn zu werfen drohte. Vor den anklagenden inneren Stimmen Bethanias floh er ins Asyl seines Ladens, und vor den anklagenden Stimmen des Ladens floh er ins Asyl seines Hauses, und das alles unter dem Vorwand, in Ruhe seine Möglichkeiten abzuwägen. Niemals – nicht einmal in seinen selbstkritischsten Momenten – erlaubte er sich den Gedanken, daß er dabei zwischen zwei Frauen hin- und herwechselte. Dich überwältigt, sagte er sich, jenes Triumphgefühl, das uns ergreift, wenn unsere schlimmsten Erwartungen in Erfüllung gehen. Deine großartigen Visionen sind auf dich zurückgefallen. Deine selbstgebastelte Welt fliegt dir um die Ohren, und du bist selber schuld, weil du den Tempel auf Sand gebaut hast. Aber kaum hatte er sich mit derlei Weltuntergangsprophezeiungen gegeißelt, als ihm aufmunternder Rat zu Hilfe kam:
    »Ein paar bittere Wahrheiten sind also schon wie eine Nemesis.« – Bennys Stimme – »Ein trefflicher junger Diplomat bittet dich nur darum, dich für England einzusetzen, und du siehst dich gleich als Toten im Leichenschauhaus? Würde eine Nemesis anbieten, den verrückten Millionär für dich zu spielen, dir einen Packen Fünfziger in neutralem Umschlag zustecken und dir sagen, davon könnte es noch jede Menge mehr geben? Dich ein Geschenk Gottes nennen, Harry, was du auch nicht alle Tage zu hören bekommst? Ein Musterexemplar? Eine Nemesis ?«
    Dann brauchte Hannah den Großen Entscheider, um zu entscheiden, welches Buch sie für den Lesewettbewerb in der Schule nehmen sollte, und Mark mußte ihm unbedingt »Lazy Sheep« auf seiner neuen Geige vorspielen, damit sie entscheiden konnten, ob er die Prüfung schaffen würde, und Louisa wollte seine Meinung über den jüngsten Skandal in der Verwaltungszentrale hören, damit sie entscheiden konnten, was sie über die Zukunft des Kanals zu denken hätten, auch wenn sich Louisa bei diesem Thema längst entschieden hatte: der unvergleichliche Ernesto Delgado, dieser von den Amerikanern anerkannte Saubermann und Bewahrer der Goldenen Vergangenheit, war ohne Fehl und Tadel:
    »Harry, ich verstehe das einfach nicht. Ernesto braucht nur mal für zehn Tage das Land zu verlassen, um seinen Präsidenten zu begleiten, und schon genehmigen seine Beamten die Ernennung von nicht weniger als fünf attraktiven panamaischen Frauen zu Pressesprecherinnen mit vollem amerikanischen Gehalt, und ihre Qualifikation besteht nur darin, daß sie jung und weiß sind, daß sie BMWs fahren, Designerkostüme tragen, große Brüste und reiche Väter haben und kein Wort mit den

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