Der Schneider
Festangestellten reden.«
»Schockierend«, entschied Pendel.
Dann zurück in den Laden, wo Marta überfällige Rechnungen und nicht abgeholte Bestellungen mit ihm durchgehen mußte, damit sie entscheiden konnten, auf wen sie Druck machen und wen sie noch einen Monat in Ruhe lassen sollten.
»Was machen die Kopfschmerzen?« fragte er besorgt, da sie noch blasser als gewöhnlich aussah.
»Nicht der Rede wert«, antwortete Marta hinter ihren Haaren hervor.
»Ist die optimistische Phase wieder vorbei?«
»Die optimistische Phase ist für immer vorbei« – sie gewährte ihm ein schiefes Lächeln – »der Optimismus ist offiziell als verloren erklärt.«
»Das tut mir leid.«
»Nicht doch, bitte. Du hast nichts damit zu tun. Wer ist Osnard?«
Pendel reagierte zunächst mit Entsetzen. Osnard? Osnard? Ein Kunde, Frau. Du kannst doch seinen Namen nicht so ausposaunen!
»Warum?« fragte er, schnell wieder nüchtern.
»Er ist böse.«
»Sind das nicht alle meine Kunden?« sagte er, scherzhaft auf ihre Vorliebe für die Leute auf der anderen Seite der Brücke anspielend.
»Sicher, aber die wissen es nicht«, gab sie zurück; jetzt lächelte sie nicht mehr.
»Und Osnard weiß es?«
»Ja. Osnard ist böse. Tu nicht, was er von dir verlangt.«
»Aber was verlangt er denn von mir?«
»Ich weiß es nicht. Wenn ich es wüßte, würde ich ihn daran hindern. Bitte.«
Sie hätte wohl gerne noch »Harry« hinzugesetzt, er sah schon, wie sich sein Name auf ihren aufgeplatzten Lippen formte. Aber im Laden war es ihr ganzer Stolz, nie auf seine Nachsicht zu setzen, sich nie durch Worte oder Gebärden anmerken zu lassen, daß sie für alle Ewigkeit zusammengehörten, daß sie, wann immer sie einander erblickten, dasselbe durch verschiedene Fenster sahen:
Marta in zerrissenem weißen Hemd und Jeans, wie nicht abgeholter Müll im Rinnstein liegend, über ihr stehen drei Mitglieder von Noriegas berüchtigter Elitetruppe, die sie, beim Gesicht anfangend, nacheinander mit einem blutbeschmierten Baseballschläger bearbeiten und so ihr Herz zu gewinnen versuchen. Pendel, dem zwei weitere dieser Männer die Arme auf den Rücken drehen, wie er auf sie niederstarrt und sich die Seele aus dem Leib schreit, zuerst vor Angst, dann vor Wut, dann um Gnade für Marta flehend.
Aber sie kennen keine Gnade. Sie zwingen ihn zuzusehen. Denn wozu sollte man an einer rebellischen Frau ein Exempel statuieren, wenn niemand da ist, dem es zur Warnung dienen könnte?
Das Ganze ist ein Irrtum , Captain . Es ist reiner Zufall , daß diese Frau das weiße Hemd des Widerstands anhat .
Beruhigen Sie sich , Señor . Gleich ist es nicht mehr weiß .
Marta auf dem Bett in dem Behelfskrankenhaus, wohin Mickie Abraxas die beiden mutig genug gebracht hat; Marta nackt, überall Blut und blaue Flecken; Pendel, wie er den Arzt verzweifelt mit Dollars und Beteuerungen bedrängt; Mickie als Sicherheitsposten am Fenster.
»Wir sind besser als das«, flüstert Marta durch blutige Lippen und eingeschlagene Zähne.
Sie meint: es gibt ein besseres Panama. Sie spricht von den Leuten auf der anderen Seite der Brücke.
Am nächsten Tag wird Mickie verhaftet.
»Ich überlege, ob ich die Sportabteilung zu einem Clubraum umbauen soll«, erzählte Pendel Louisa, noch immer um eine Entscheidung ringend. »Vielleicht sogar mit einer Bar.«
»Harry, ich verstehe einfach nicht, wozu du eine Bar brauchst. Eure Treffen am Donnerstagabend sind auch so schon wüst genug.«
»Es geht darum, Leute anzulocken. Die Kundschaft zu vergrößern. Freunde bringen Freunde mit, die Freunde machen es sich bequem, fühlen sich wohl, beginnen, sich im Laden umzusehen: und schon ist das Auftragsbuch voll.«
»Und was wird aus dem Anproberaum?« wandte sie ein.
Gute Frage, dachte Pendel. Auch Andy konnte mir darauf keine Antwort geben. Entscheidung vertagt.
»Für die Kunden, Marta«, erklärte Pendel geduldig. »Für all die Leute, die hierherkommen und deine Sandwiches essen. Damit es immer mehr werden und sie immer mehr Anzüge bestellen.«
»Am liebsten würde ich sie mit meinen Sandwiches vergiften.«
»Und für wen soll ich dann arbeiten? Vielleicht für deine hitzköpfigen Studentenfreunde? Weltneuheit: Revolution in Maßanzügen von P & B. Vielen Dank.«
»Lenin ist schließlich auch Rolls Royce gefahren«, gab sie nicht minder schlagfertig zurück.
Ich habe ihn gar nicht nach den Taschen gefragt, dachte er, als er spät im Laden zu den Klängen von Bach eine
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