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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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! fügt er in Gedanken verzweifelt hinzu, als er die Schere an der Schulter des linken Ärmels ansetzt. Alles in der Welt ist wahr , man muß nur intensiv genug daran glauben und denjenigen lieben , für den man es erfindet !
    »Ich werde es ihr sagen«, verkündet Pendel laut, von Bach in eine Stimmung vollkommener Aufrichtigkeit versetzt. Und in einem furchtbaren Augenblick des Sichgehenlassens erwägt er allen Ernstes, sämtliche klugen Regeln, nach denen er bisher gelebt hat, über Bord zu werfen und der Gefährtin seines Lebens ein volles Geständnis seiner Sünden zu machen. Das heißt, ein halbwegs volles. Das Nötigste.
    Louisa , ich muß dir etwas sagen , hoffentlich schockiert es dich nicht allzusehr . Was du von mir weißt , ist in manchen Einzelheiten nicht ganz koscher . Vieles davon ist eher so , wie ich es gern hätte , wie es hätte sein können , wenn das Leben etwas gerechter mit mir umgegangen wäre .
    Mir fehlen die richtigen Worte, denkt er. Ich habe noch niemals ein Geständnis abgelegt, außer dieses eine Mal bei Onkel Benny. Wo soll ich aufhören? Und wird sie mir danach überhaupt noch irgend etwas glauben? Mit Entsetzen malt er sich das Kriegsgericht aus, eine von Louisas gottesfürchtigen Krisensitzungen, aber mit allen Schikanen: die Dienstboten aus dem Haus geschickt, der engste Familienkreis mit gefalteten Händen um den Tisch versammelt, und Louisa mit steifem Rücken und angstvoll verkniffenem Mund, denn im Innersten schreckt die Wahrheit sie noch mehr als mich. Das letztemal war es Mark gewesen, der sich verantworten mußte, weil er an den Torpfosten der Schule »Alles Mist« gesprüht hatte. Davor Hannah, die eine Dose schnelltrocknender Farbe in die Spüle gekippt hatte, um sich an einem der Hausmädchen zu rächen.
    Aber heute sitzt Harry persönlich auf dem heißen Stuhl und erklärt seinen geliebten Kindern, daß ihr Vater, in der ganzen Zeit seiner Ehe mit der Mutter und seit die Kinder alt genug zum Zuhören waren, ihnen allen ein paar kräftig ausgeschmückte Lügenmärchen über den großen Helden und das Vorbild der Familie aufgetischt hat, diesen nicht existierenden Mr. Braithwaite, Gott hab ihn selig. Und daß ihr Vater und Ehemann, weit entfernt davon, Braithwaites Lieblingssohn zu sein, neunhundertundzwölf entscheidende Tage und Nächte seines Lebens einem gründlichen Studium des Mauerwerks in der Erziehungsanstalt Ihrer Majestät gewidmet hat.
    Entscheidung getroffen. Ich erzähl’s euch später. Viel später. Praktisch erst in einem künftigen Leben. Einem Leben, in dem mir das Redetalent ausgegangen ist.
     
    Pendel brachte den Geländewagen gerade noch hinter dem Wagen vor ihm zum Stehen und wartete, daß ihn das Auto hinter ihm rammte, aber aus irgendeinem Grund wollte es das nicht. Wie bin ich hierhergekommen? fragte er sich. Vielleicht hat es mich doch gerammt, und ich bin tot. Ich muß den Laden abgeschlossen haben, ohne es zu merken. Dann erinnerte er sich, daß er an der Smokingjacke gearbeitet und die fertigen Teile auf der Werkbank ausgebreitet hatte, um sie zu betrachten; das machte er immer so: schöpferisch Abschied von ihnen nehmen, bis sie, zu menschlichen Umrissen zusammengeheftet, das nächstemal vor ihn traten.
    Schwarzer Regen prasselte auf die Motorhaube. Fünfzig Meter vor ihm stand ein Lastwagen quer auf der Straße, seine Reifen hatte er wie Kuhfladen hinter sich verteilt. Sonst war durch den Wasserfall nichts zu sehen, außer endlosen stehenden Autoschlangen auf dem Weg in den Krieg oder auf der Flucht davor. Er machte das Radio an, konnte aber durch den Artilleriedonner nichts hören. Der Regen auf dem heißen Blechdach. Hier komm ich nicht mehr raus. Eingesperrt. Mitten drin. Die Zeit absitzen. Den Motor ausmachen, das Gebläse auch. Warten. Braten. Schwitzen. Die nächste Salve. Sich unterm Sitz verstecken.
    Schweiß, schwer wie Regen, läuft ihm aus allen Poren. Unter ihm das Gurgeln des abfließenden Wassers. Pendel treibt flußaufwärts oder -abwärts. Die ganze Vergangenheit, die er zwei Meter tief begraben hat, stürzt über ihn herein: die unbereinigte, ungeschönte, Braithwaite-lose Version seines Lebens, beginnend mit dem Wunder seiner Geburt, wie es ihm Onkel Benny im Gefängnis erzählt hat, und endend mit dem absolut unversöhnlichen Versöhnungstag vor dreizehn Jahren, als er sich für Louisa erfunden hat, während sie auf einem tadellos gepflegten amerikanischen Rasen in der offiziell abgeschafften Kanalzone standen; das

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