Der Schock: Psychothriller (German Edition)
bückte sich nach einer der Plastiktüten und streifte das rote Gummi ab, das sie zusammenhielt. Das Plastik knisterte laut. In der Tüte lagen ein Ballen zerknüllte Alufolie, ein Päckchen Tabak, eine halbvolle Flasche Johnnie Walker ›Red Label‹, ein Sturmfeuerzeug – und ein Portemonnaie, das aussah wie Lauras.
Jans Herz schlug schneller. Er sah hinein, um sich zu vergewissern. Im Innern steckten Lauras EC-Karte, ihr Ausweis und ein überraschend dickes Bündel Geldscheine. Frische grüne Hunderter, vielleicht zwanzig oder mehr.
»Pfoten weg von meinen Sachen!«, ertönte plötzlich eine raue Männerstimme hinter ihm. Im selben Moment explodierte ein dumpfer Schmerz zwischen seinen Schulterblättern, ein zweiter Schlag traf ihn seitlich in die Nierengegend. Jan ging zu Boden, und jemand warf sich auf ihn. Eine Hand packte grob in seine Haare und drückte sein Gesicht auf den Boden.
»Hab ich dich, du Scheißkerl.«
Jan ächzte. Kleine Steinchen drückten sich wie Reißzwecken in sein Gesicht, seine Stirn brannte.
»Rühr dich nicht vom Fleck, sonst dreh ich dir den Hals um, klar?«
»Ja«, stieß Jan hervor. Angst kroch ihm in die Glieder. War er das etwa? Der Mann mit den Tätowierungen im Gesicht?
»Was willst du hier? Was soll das?«
»Wo … wo ist Laura? Was haben Sie mit ihr gemacht?«, keuchte Jan.
»Laura? Du meinst Lory. Woher kennst du sie?«
»Lory?«
»Ich hab dich was gefragt«, bellte die Stimme. Es klang heiser, und Jan roch Alkohol.
»Ich … ich suche Laura, sie ist –«
»Warum? Was willst du von ihr?« Die Hand riss Jans Kopf an den Haaren in den Nacken, so dass er kaum atmen konnte.
»Sie ist verschwunden, ich –«
»Bist du das Schwein, das sie entführt hat?«
»Was?«
»Verkauf mich nich für dumm, ja! Sie hat mir alles erzählt.«
»Scheiße, nein!«, stöhnte Jan. »Ich hab sie nicht entführt. Ich bin ein Freund von ihr. Ich such seit Tagen nach ihr.«
Der Griff in seinen Haaren lockerte sich ein wenig. »Und das soll ich dir glauben?«
Jan schnappte nach Luft. »Verdammt, wenn Sie mich einfach loslassen würden … dann könnt ich’s Ihnen ja erklären.«
»Und warum wühlste dann hier in meinen Sachen?«
»Ich dachte, das sind Lauras Sachen. Ich mach mir Sorgen.«
Der Mann schnaufte, dann ließ er von Jans Haaren ab und stand schwerfällig auf. Jan stöhnte erleichtert und setzte sich. Vor ihm stand ein Stadtstreicher mit tiefen Furchen im Gesicht und einem buschigen grauen Vollbart. Er war um die sechzig, erstaunlich kräftig und trug einen grünen Parka, eine um die Beine schlotternde braune Bundfaltenhose und einen fleckigen Pullover. Jan erkannte ihn sofort. Er hatte ihn auf mehreren Fotos in Lauras Wohnung gesehen.
»Nix für ungut«, knurrte der Mann und setzte sich neben Jan. »Ich bin Gandalf.«
»Gandalf? Wie in ›Der Herr der Ringe‹?« Jans Blick wanderte über die langen grauen Haare und den Bart.
»Hat sich so festgesetzt.«
»Ich bin Jan. Jan Floss.«
Gandalf kniff kurz die Augen zusammen, als müsste er sein Gegenüber neu betrachten oder als würde ihm der Name etwas sagen, aber schon im nächsten Moment war sein Blick wieder nach innen gerichtet.
»Habe ich das gerade richtig verstanden? Laura war hier?«, fragte Jan. »Geht es ihr gut?«
Gandalf wiegte den Kopf. »Lory is hart im Nehmen. Aber das mit der Entführung …«
»Was für eine Entführung? Was hat sie Ihnen erzählt?«
»Du.«
»Was?«
»Du. Nich Sie«, meinte Gandalf. »Sonst krieg ich noch so ’n Gefühl, als würdste mich mit spitzen Fingern anfassen …«
»Okay«, sagte Jan hastig. »Aber was für eine Entführung? Wann war sie hier?«
»Na gestern. Ich hab sie die Nacht davor gefunden, hierher gebracht. Sie hat erst mal nur geschlafen. Und dann hat sie’s erzählt, dass sie entführt worden ist, von irgend so einem Psycho. Einer, der Frauen umbringt.«
Also doch. Jan musste schlucken und dachte an Nikki Reichert. »Und sie ist ihm entkommen?«
Gandalf zuckte mit den Schultern. »Sie wusste nicht, wie sie hergekommen ist.« Er schnippte mit den Fingern. »Ist einfach so passiert.«
»Einfach so? Was soll das denn heißen?«
»Keine Ahnung, musst du Lory fragen.«
»War sie verletzt?«
»Hab nichts gesehen«, meinte Gandalf.
»Und wo ist sie jetzt? Zur Polizei?«
»Wär schlau, hab ich ihr auch gesagt. Aber mit der Polizei wollte sie noch nie was zu tun haben. Kann’s ihr nich verdenken. Hat gesagt, sie hätte noch was zu erledigen. Dann is
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