Der Schock: Psychothriller (German Edition)
scheiß hohen Ross gesessen«, erwiderte der Mann. »Glaubst du denn ernsthaft, dass ich für’n Appel und ’n Ei hierherkomme, deinen Keller leer räume, deine Kleine da runterschleife, den Schlüssel umdrehe und dann einfach nett lächle und gehe?«
Lauras Herz schlug schneller. Das war der Typ, der sie hier runtergebracht hatte. Ihre Mutter hatte irgendjemanden angerufen, den sie von früher kannte. Aber wer konnte das sein?
»Wie stellst du dir das überhaupt vor? Wie soll das alles weitergehen?«, fragte er.
Lauras Mutter räusperte sich. »Zerbrich dir nicht meinen Kopf. Sie wird hier nicht ewig bleiben können. Irgendwann kommt er zurück. Es würde ihm auffallen.«
»Siehst du, was ich meine? Was machst du dann?« Der Mann zog geräuschvoll die Nase hoch und spuckte dann ins Waschbecken.
»Sag mir, was du willst«, forderte ihre Mutter kalt.
»Gib mir das Herrenhaus.«
Für einen Moment herrschte Stille.
Herrenhaus?, dachte Laura. Welches Herrenhaus?
»Du hast deinen Teil bekommen, und noch mehr. Warum sollte ich dir das auch noch in den Rachen werfen?«
»Jetzt komm schon«, sagte der Mann und musste husten. Es klang rau, hart und ungesund. »Das ist über dreißig Jahre her.«
»Es waren fast 17 Millionen. Bei anderen Menschen reicht das ein Leben lang«, entgegnete ihre Mutter.
»Ich hab meine Lektion gelernt. Wenn alles weg ist, dann ist man plötzlich auf dem Boden der Tatsachen. Dann wird man bescheiden.«
»Bescheiden, ja? Das Herrenhaus!«
»Komm schon, der alte Kasten, der steht doch seit einer Ewigkeit leer. Ich will ja nicht einziehen. Ich will’s verkaufen. Dann kauf ich mir ein kleines Häuschen, nicht in Amsterdam, irgendwo weiter oben, an der Küste, und vom Rest des Geldes kann ich leben, bis ich in die Kiste gehe. Ich meine, guck dich an, hier in diesem riesigen Protzkasten. Du hast deine feine Villa und dein Vermögen. Gib mir doch diesen alten leerstehenden Kasten. Dafür halt ich dann auch meinen Mund und helfe dir.«
Helfen? Wobei eigentlich?, fragte sich Laura. Ihr wurde eiskalt. Was haben die mit mir vor?
Ihre Mutter schwieg eine Weile, dann räusperte sie sich. »Na schön. Unter einer Bedingung.«
»Und die wäre?«
»Du bringst Laura ins Herrenhaus.«
Laura erstarrte. Ihre Mutter lieferte sie diesem Typen aus?
»Was?«, fragte der Mann. »In mein Haus?«
»Es ist nicht dein Haus.«
»Jetzt schon.«
»Erst, wenn du Laura mitnimmst.«
»Wie, mitnehmen? Wie lange denn? Was soll ich mit ihr machen, verdammt?«, fragte der Mann hitzig. »Wie stellst du dir das vor?«
»Buck, jetzt beruhig dich gefälligst«, sagte ihre Mutter.
Laura stutzte. Buck? War das sein Name?
»Beruhig dich, Buck«, äffte der Mann sie nach. »Wie soll ich mich beruhigen, bei diesem ganzen Wahnsinn, hä?«
Es entstand ein drückendes Schweigen.
»Gut«, hörte Laura ihre Mutter sagen. »Dann fahr zurück nach Amsterdam, geh zurück in dein Loch. Ich finde eine andere Lösung.«
Laura hörte ein leises Schleifen und fragte sich, was das sein konnte, bis ihr klar wurde, dass es vermutlich der Rollstuhl ihrer Mutter war. Das war schon immer ihr letztes Druckmittel gewesen: hocherhobenen Hauptes aus dem Zimmer zu rollen.
»Hey. Warte«, sagte der Mann. »Wart mal einen Moment.«
Laura hörte wieder die Stimme ihrer Mutter, doch diesmal so leise, dass sie nicht verstehen konnte, was sie sagte.
»Würdest du bitte verdammt noch mal warten … hey …«, rief der Mann. Offensichtlich lief er ihrer Mutter nach, denn seine Stimme wurde leiser. Laura hörte noch ein paar Wortfetzen, dann war es still. Die beiden hatten anscheinend die Küche verlassen.
Laura lauschte noch eine Weile, dann legte sie den Deckel wieder auf den Stutzen des Rohrs, schraubte ihn jedoch nicht fest.
Wer war dieser Buck? Woher kannten er und ihre Mutter sich? Und warum um alles in der Welt hatte er 17 Millionen bekommen? Wofür?
Doch das Allerschlimmste war, dass ihre Mutter sie offenbar von ihm fortschaffen lassen wollte, in dieses sogenannte Herrenhaus. Was sollte dort aus ihr werden?
Sie sank auf die Matratze, zog die Knie an die Brust und umschlang sie mit ihren Armen. Tränen liefen ihr die Wangen hinab. Wäre sie doch bloß nicht in dieses verfluchte Haus gekommen. Wie hatte sie nur so dumm sein können?
Dieser verdammte Revolver und die Vase mit dem Geld waren ihr vorgekommen wie ein letztes Stück Zuhause. Und auch das hatte ihre Mutter ihr genommen.
Kapitel 24
Berlin, 20. Oktober, 20:23 Uhr
Jan
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