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Der Schock: Psychothriller (German Edition)

Der Schock: Psychothriller (German Edition)

Titel: Der Schock: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Raabe
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sah Gandalf zu, wie er den letzten Bissen Bratwurst mit einem Schluck Johnnie Walker hinunterspülte und anschließend die Flasche wieder zuschraubte. Seine fettigen Finger hinterließen Abdrücke auf dem Glas.
    Es war Nacht geworden; die Welt jenseits der Brücke existierte nicht mehr. Nur die Lichtkegel der Autos, die an ihrem Rand wie Geister durch den Nebel huschten, erinnerten daran, dass es da oben noch etwas gab.
    Nach dem Grillen hatte Gandalf die Glut aus der Grillschale auf den Boden geschüttet und ein paar trockene Hölzer darübergeschichtet. Das Feuer war mickrig, zumal die Luft so feucht war, doch hier, unter der Brücke, war es das Zentrum der Welt.
    Gandalf beugte sich vor, hielt seine knotigen Hände näher an die spärlichen Flammen und grunzte. Die Schatten in seinem Gesicht tanzten. »Wirklich nichts?«, fragte er und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Johnnie-Walker-Flasche.
    »Nein.«
    »Wie lange is das schon so, dass du immer an sie denken musst?«
    »Eigentlich seit … seit ich dreizehn bin.«
    Gandalf hob die Brauen.
    »Zwischendurch gab es mal so was wie eine längere Pause.«
    »Pause. Hm?« Gandalf wiegte den Kopf. »Ich bin geschieden. Ist auch ’ne Art Pause.« Er grinste schief. »Mein Vater war Bauunternehmer. Burger, kennste vielleicht noch …«
    Jan schüttelte den Kopf.
    »War wahrscheinlich vor deiner Zeit. War ’ne große Nummer. Große Knete und so. Hab bei ihm gearbeitet. Er hat ein paar Leute bestochen, nichts Besonderes, haben die anderen auch gemacht. Aber er ist aufgeflogen. Danach ist alles den Bach runter …«
    Jan nickte. »Und Laura, wie lange kennst du sie schon?«
    »Is ewig her. Weiß nicht mehr, welches Jahr, so was merk ich mir nicht. Das erste Mal, dass ich Lory hier auf der Straße gesehen hab, da war sie sechzehn, glaube ich. Is mir sofort aufgefallen, die kam aus so ’ner stinkfeinen Familie. Von der Sorte gibt’s nicht so viele.«
    Jan runzelte die Stirn. »Ich hab ein paar Fotos von ihr aus der Zeit gesehen. Hatte sie nicht damals schon diese Punk-Frisur? Und die Piercings?«
    »Schon. Die sind später auch noch mehr geworden. Aber ist eh alles Blödsinn«, brummte Gandalf. »Ich meine, sie hätte zehnmal so viele Piercings haben können. War trotzdem klar, wo sie herkommt. War viel zu wohlerzogen.«
    Wohlerzogen. Jan dachte an seinen Besuch bei Ava Bjely und versuchte sich vorzustellen, wie Laura und ihre Mutter miteinander klargekommen waren. Es gelang ihm nicht. »Hat sie was erzählt, warum sie abgehauen ist?«
    »So richtig erzählt hat sie nie was. Immer nur stückchenweise. Manchmal hatte man den Eindruck, es war eher andersrum, ich meine, dass die Mutter sie rausgeschmissen hat. Mit vierzehn, hat Lory gesagt, da hieß es plötzlich, von einem Tag auf den anderen, dass sie aufs Internat soll. Das hat sie ziemlich umgehauen.«
    »Und ihr Vater? Was war denn mit dem? Wollte der das auch?«
    Ein Funke flog knisternd in die Luft. Gandalf sah ihm kurz nach und zuckte mit den Schultern. »Der hatte, glaube ich, nicht viel zu melden. War ja nie da, hat sich immer fein in Richtung Arbeit verdrückt. Das war das Einzige, was Lory von dem erzählt hat, dass der nie da war.«
    Jan starrte ins Feuer. Er sah sie immer noch vor sich: blass, lange dunkle Haare, dabei wirkte sie immer verloren und hatte zugleich diese Energie, wie ein stilles Feuer. Dass sie ständig schwänzte, wie Katy ihm kürzlich erzählt hatte, das war ihm nie aufgefallen. Aber er war ohnehin damals viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen. Mit Theos Tod, dem Fortgehen seiner Mutter, aber auch damit, dass er sich hässlich fand. Sein Körper war ihm wie ein zu großer Anzug erschienen, nichts passte. Und dann auch noch sein Feuermal.
    »Hast du irgendeine Ahnung, warum Laura so plötzlich aufs Internat sollte?«, fragte Jan.
    Gandalf seufzte und kratzte sich mit den fettigen Fingern die Barthaare. »Nee. Hatte sie ja selber auch nicht. Das war im November, hat sie erzählt.« Er schwieg einen Moment, sah ebenfalls ins Feuer. »Weiß ich noch so genau, weil Lory immer gesagt hat, wie sehr sie den November hassen würde. ›In diesem November damals, da war alles vorbei‹, hat sie immer gesagt. ›Da hat mir meine Mutter endgültig das Leben versaut.‹«
    November. Jan rechnete nach; Laura war jetzt 34, wenn sie damals vierzehn gewesen war, dann wäre das der November 92. Irgendetwas musste im November 1992 passiert sein. »Und wie ging’s dann weiter?«
    Gandalf griff

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