Der Schockwellenreiter
indirekter Einfluß, weil unsere Gesellschaft selbst das Resultat unserer inneren Prädispositionen ist.« Er stieß ein trübseliges Lachen aus. »Weiß du, eines der Dinge, die ich am meisten an dem bedaure, was geschah, ist der Umstand, daß ich meine Diskussionen mit Paul Freeman hätte genießen können und doch verhindert war, es zu tun. Es bestanden soviel Gemeinsamkeiten zwischen uns. Aber ich durfte es mir nicht leisten. Ich mußte sein Weltbild um jeden Preis erschüttern. Andernfalls wäre er nie aus den Gleisen gesprungen, als Hartz ihn anschiß.«
»Hör mit der Wiederkäuerei auf, ja?«
»Entschuldigung. Wo waren wir? Ach, ich wollte gerade erzählen, daß man im Tarnover irrigerweise den Zeitpunkt, da unsere Reflexe eingreifen, hinauszuschieben versucht. Dabei müßten sie dort eigentlich erkennen, wie falsch das ist. Free-man selbst erwähnt die beste Behandlungsmethode gegen den Persönlichkeitsschock, die weder aus der Anwendung von Drogen oder sonst irgendeiner festgelegten Therapie besteht, sondern vielmehr daraus, dem Patienten die Freiheit einzuräumen, etwas zu tun, was er schon immer tun wollte, aber nie konnte. Und derartig offensichtlichen Hinweisen zum Trotze versucht man, jene Menschen, die für unsere realen Bedürfnisse am empfänglichsten sind, aus der Gesamtheit herauszusieben, um sie vom Rest der Welt zu isolieren. Wogegen sie im vollen Bewußtsein ihrer eigenen Begabungen auf die Welt losgelassen werden sollten, damit sich, sobald wir den unausweichlichen Überlastungspunkt erreichen, unsere Reflexe zu unseren Gunsten anstatt gegen unsere Interessen auswirken.«
»Ich erinnere mich an eine bestimmte Ausführung in den Desasterville-Monografien. Ich glaube, es war Nummer 6. Eine große Anzahl von Erdbebenopfern, die vorher einflußreiche, hochangesehene gesellschaftliche Stellungen einnahmen, verwandelte sich nach dem Verlust der materiellen Besitztümer, die ihren Rang in der Gesellschaft angezeigt hatten, in klägliche Parasiten. Die Führerschaft ging an jene über, die noch einen flexibleren Geist besaßen - nicht nur an Jugendliche, die noch nicht in ihrem Denken und Handeln erstarrt waren, auch an Erwachsene, die man zuvor als unpraktisch veranlagt betrachtet hatte, als Träumer, ja Versager. Die einzige Eigenschaft, welche diese letzteren Menschen anscheinend gemeinsam aufwiesen, war eine freizügige Fantasie, ganz gleichgültig, ob sie sich auf ihre Jugend zurückführen ließ oder darauf, daß sie sich diese bis ins Alter erhalten und ihnen eine zu große Auswahl von Möglichkeiten geboten hatte, um ihnen die Entscheidung für einen speziellen Weg zu gestatten.«
»Wie gut ich dies Gefühl kenne! Und wäre gerade jetzt eine kleine Einspritzung von Fantasie nicht gut für unsere Gesellschaft? Ich würde sagen, wir haben eine Überdosis an rauher Wirklichkeit erhalten. Ein bißchen Fantasie könnte als Gegenmittel dienen.«
Bei Cincinnati in Ohio hatten Helga Thorgrim-Townes, Dramatikerin, und ihr Mann Nigel Townes, Architekt, Gäste im Haus und mußten anschließend eine Gebühr für ungewöhnlich starke Beanspruchung des Datennetzes entrichten. In dieser Gegend fiel leichter Schneeregen, aber es lag noch kein Schnee in nennenswertem Umfang.
»Ich weiß nicht, ob ich dir glauben würde, wären mir nicht selbst schon Leute aus dem Tarnover begegnet. Wenn ich allerdings nach denen gehe.«
»Laß es dir von mir sagen, sie sind typisch. Sie sind systematisch davon abgehalten worden, eine der wichtigsten Einzelwahrheiten über die Menschheit zu begreifen. Es ist, als hätte es sich jemand vorgenommen, den Kontinent nach den umgänglichsten, großherzigsten und besonnensten Menschen zu durchkämmen, die zu finden sind, und dann Jahre damit zu verbringen, sie davon zu überzeugen, sie seien anomal, weil eine solche Lebenshaltung selten ist, und müßten behandelt werden.«
»Was ist das für eine Wahrheit?«
»Das solltest du mir sagen können. Du kennst sie bereits dein Leben lang. Sie ist dein Kompaß.«
»Hat's irgendwas damit zu schaffen, warum ich ursprünglich an dir Interesse entwickelte? Mir fiel auf, wie sehr du dich bemühtest, dich an ein allgemeines Muster anzupassen. Ich empfand das als fürchterliche Verschwendung.«
»Darum geht's. Einen Vorwurf habe ich Freeman gemacht, den ich leider nicht zurücknehmen kann: ich warf ihm vor, er befasse sich nicht mit Menschen, sondern mit angenäherten Ausgaben eines vorgefertigten Modells von Mensch. Ich bin richtig
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