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Der Schockwellenreiter

Der Schockwellenreiter

Titel: Der Schockwellenreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brunner
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bewegungsfähigen, aktiven, freien Individuums erhalten hätte; statt dessen machte man sie zu einer öffentlichen Einrichtung, damit sie >sich daran gewöhnt, angeschaut zu werden<. Als ob die Vorstellung dieser Leute von Persönlichkeit mit dem begänne und endete, was sie in ihren Labors zu messen vermochten. Als mäßen sie, obschon selbst leidensfähig, dem Leid anderer keinen Wirklichkeitscharakter zu. >Das Subjekt zeigte eine Schmerzreaktion.<
    Aber unter gar keinen Umständen haben wir ihm wehgetan.
    Äußerlich ließ sich sein Verhalten im Verlauf seiner zweiten fünf Jahre im Tarnover durchaus mit seinem zuvorigen Betragen vergleichen. Er nahm Beruhigungsmittel, aber er bekam sie wie die Mehrzahl seiner Altersgruppe gewohnheitsmäßig verschrieben. Manchmal rief man ihn, wenn er sich mit seinem Instruktor gestritten hatte, zu einer Aussprachesitzung, aber das passierte wenigstens der Hälfte aller übrigen Aspiranten auch. Als ihn ein Mädchen abhing, befand er sich eine Zeitlang kurz davor, dem anderen Geschlecht vollends abzuschwören, doch die typischen emotionalen Eruptionen der Jugend erfuhren in seiner begrenzten Umwelt lediglich eine übertriebene Vergrößerung, und bald nahm er dergleichen nicht länger so ernst. Alles lag durchaus innerhalb der gesteckten Schranken.
    Einmal allerdings - buchstäblich nur einmal - hatte er den Eindruck, die Belastung unmöglich weiterhin still ertragen zu können, und tat etwas, das höchstwahrscheinlich, wäre es im Tarnover bekanntgeworden, zu seinem Hinauswurf und obendrein zu einer Operation zwecks Gedächtniskorrektur geführt hätte. (Man hörte gerüchteweise. Und das Gerücht verstummte nie ganz.) Von einer öffentlichen K-Zelle am Bahnhof aus, der Tarnover per Schiene mit der nächstgelegenen Ortschaft verband, rief er das Offene Ohr an, und erstmals seit Jahren schüttete er ihm eine einsame, düstere Stunde lang die Geheimnisse seines Herzens aus. Das war eine Katharsis, eine Läuterung. Doch schon lange ehe er wieder sein Zimmer betrat, zitterte er wie Espenlaub, geplagt von der Furcht, die allgemein bekannte Zusicherung des Offenen Ohrs (>Nur ich habe das gehört.<) könne unwahr sein. Ganz im Gegenteil, wie konnte sie denn wahr sein? Völlig absurd! Von Canaveral aus durchwoben die Stielohren der Regierungs-Computer diese Gesellschaft wie ein Pilzgeflecht. Kein Ort konnte immun sein.
    Die ganze Nacht hindurch lag er voller Furcht wach, rechnete damit, daß in jedem Moment die Tür auffliegen werde und strenge, schweigsame Männer kämen, um ihn zu verhaften. Bei Morgengrauen war er halb dazu entschlossen, aus dem Leben zu scheiden.
    Aber wie infolge eines Wunders blieb das Unheil aus, und eine Woche später war diese gräßliche selbstzerstörerische Anwandlung in seine Erinnerung entglitten, verschwamm sie immer mehr wie ein alter Traum. Woran er sich jedoch noch sehr lebhaft entsann, war der durchlittene Schrecken. Er faßte den Vorsatz, zum letzten Mal ein solcher Dummkopf gewesen zu sein.
    Kurz danach begann er sich auf Kosten seiner sonstigen Studien auf Datenverarbeitungstechniken zu konzentrieren, aber zumindest einer von vieren seiner Altersgenossen hatte mittlerweile eine Vorliebe für irgendein Spezialgebiet entwickelt, und dies war eine hochgeschätzte Befähigung. (Man hatte ihm erläutert, daß es in den Begriffen der Theorie von Dingsbumswert und Sowiesokalkül ein Problem der Entscheidungskraft sei, die dreihundert Millionen Einwohner Nordamerikas zu regieren; aber wie beim Schach oder Mauern war es nutzlos, gesagt zu bekommen, es müsse ein todsicheres Spiel geben, wenn das Universum voraussichtlich nicht lange genug bestand, um es durch die Erfolg/Mißerfolg-Methode herauszufinden.) Als er ins Tarnover kam, hatten ihn Zurückhaltung und Bescheidenheit gekennzeichnet. Es konnte nicht unbedingt als Wankelmütigkeit ausgelegt werden, wenn er sich nun nach einer Periode größerer Offenherzigkeit wieder seiner alten einzelgängerischen Gewohnheiten zuwandte.
    Weder seine Lehrer noch seine Kollegen ahnten, daß er sich mit einer bestimmten Absicht zurückzog. Er wollte raus, obwohl es kein Hinaus geben konnte.
    Man pflegte nicht gerade darauf herumzureiten, aber erinnerte ständig daran, daß ein Aspirant im Tarnover den Regierungshaushalt jährlich schätzungsweise drei Millionen Dollar kostete. Was man im vorigen Jahrhundert für Raketen, U-Boote und den Unterhalt überseeischer Stützpunkte verschleudert hatte, ließ man heute diesen

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