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Der Schockwellenreiter

Der Schockwellenreiter

Titel: Der Schockwellenreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brunner
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restriktiv, wenn sie veraltet sind. Auf jeder Stufe unserer gesellschaftlichen Entwicklung haben wir unsere Regeln erneuert, seit wir das Sprechen lernten, und noch immer legen wir neue Regeln fest, die uns besser passen. Und so wird es weitergehen, falls solche Narren wie Sie es nicht doch noch schaffen, endgültig alles zum Stillstand zu bringen.«
    Freeman beugte sich vor und stützte sein spitzes Kinn in seine rechte Handfläche. »Damit befinden wir uns im Bereich eines grundsätzlichen Meinungsunterschieds«, sagte er nach kurzem Schweigen. »Ich behaupte, daß keine von der Menschheit seit jener Zeit, als sie zu sprechen lernte, bewußt festgesetzte Regel auch nur im entferntesten soviel Einfluß besitzt wie das, was wir aus dem fünfzig-, vielleicht hunderttausend Generationen langen Zustand der Wildheit geerbt haben. Ferner behaupte ich, die Hauptursache dafür, daß die moderne Gesellschaft sich in solcher Unruhe befindet, ist darin zu suchen, daß wir zu lange auf der irrigen Ansicht bestanden haben, unsere besonderen menschlichen Fähigkeiten könnten uns von dem Erbe lossagen, das in unseren Genen festgeschrieben ist.«
    »Und aus dem Grund, weil Sie und Ihresgleichen in strikt binären Begriffen denken - >entweder-oder< -, als wären Sie zu der Auffassung gelangt, Maschinen seien unsere Schöpfer und Sie wollten ihnen nacheifern, muß ich unterstellen, daß Sie nicht bloß der richtigen Antwort ermangeln, sondern daß Sie die auch niemals finden werden. Sie behandeln Menschen nach der Black-Box-Methode. Man löse diesen Reflex aus, und es erfolgt jene Reaktion. Man löse einen anderen aus, und es passiert etwas anderes. In Ihrer Welt gibt es keinen Platz für das, was Sie >besondere Fähigkeiten< nennen.«
    »Nun hören Sie aber auf.« Freeman widmete ihm ein schwaches, aber unheimliches Lächeln. »Sie reden in mindestens zwei Generationen alten Begriffen. Haben Sie aus Ihrem Bewußtsein vollkommen die Tatsache verdrängt, wie höchst ausgefeilt unsere Methodologie seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts geworden ist?«
    »Und haben Sie völlig die Einsicht in den Umstand verdrängt, daß sie mittlerweile erstarrt ist wie die Scholastik der mittelalterlichen Theologie, daß Ihre gesamte kollektive Leistungskraft sich bloß noch darauf konzentriert, Mittel und Wege zu finden, um alles auszumerzen, was nicht mit Ihren Auffassungen übereinstimmt? Verzichten Sie ruhig auf die Mühe, mir zu antworten. Ich erfahre die Wirklichkeit Ihrer Black-Box-Methode am eigenen Leibe. Sie analysieren mich auf Gedeih und Verderb, als wäre ich kein Individuum, sondern nur ein Musterstück, das Ihrem idealisierten Modell einer Person entsprechen mag oder nicht. Reagiere ich nicht erwartungsgemäß, überprüfen Sie das Modell und versuchen's nochmal. Aber um mich scheren Sie sich nicht.«
    »Sub specie aeternitatis« , sagte Freeman und lächelte erneut. »Ich sehe keinen Anlaß zu der Annahme, daß ich mehr zähle als jeder andere Mensch, der jemals gelebt hat oder noch leben wird. Oder daß einer von ihnen mehr gezählt hat oder zählen wird als ich. Wir sind Elemente eines Prozesses, der in dunkler Vergangenheit begann und sich in eine noch nicht absehbare Zukunft fortsetzen wird.«
    »Was Sie sagen, verstärkt meine bevorzugte Vorstellung vom Tarnover: ein verfaulter Kadaver, der von ununterscheidbaren Maden wimmelt, deren einziger Lebenszweck darin besteht, vom toten Fleisch schneller mehr zu verzehren als die Rivalen.«
    »Aha, ja. Eroberer Wurm. Ich finde es merkwürdig, daß aus Ihnen ein religiöses Häkchen geworden sein soll, berücksichtigt man den Zynismus, mit dem Sie in Toledo Ihre Priesterrolle ausgenutzt haben.«
    »Ich bin kein religiöser Mensch. Hauptsächlich deswegen, weil am Ende des religiösen Glaubens meistens Ihre Art von blinder Leichtgläubigkeit steht.«
    »Ausgezeichnet. Ein Paradoxon. Lösen Sie's für mich auf.« Freeman lehnte sich zurück, schlug seine mageren Beine übereinander und legte seine dünnen Fingerspitzen wechselseitig an seine Ellbogen, die auf den Armlehnen des Sessels ruhten.
    »Sie glauben, daß der Mensch sich selber begreifen kann, oder jedenfalls tun Sie so, als glaubten Sie's. Trotzdem verweisen Sie ständig auf Prozesse, die dann und dann begonnen haben und für alle Zeiten weitergehen werden - und Amen. Was Sie probieren, ist doch in Wahrheit, den Strom des Laufs der Dinge zu verlassen, so wie abergläubische Wilde es versuchten - versuchen! -, indem sie

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