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Der Schockwellenreiter

Der Schockwellenreiter

Titel: Der Schockwellenreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brunner
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Buchstäblich Millionen traumatisierter Obdachloser waren nach Süden geschwärmt. Jahrelang fristeten sie ihr Dasein in Zelten und Baracken, blieben abhängig von Zuwendungen der Regierung, weil sie geistig zu stark in Mitleidenschaft gezogen waren, um für ihren Lebensunterhalt arbeiten zu können, in den meisten Fällen litten sie unter Furcht davor, ein Gebäude mit festem Dach zu betreten, weil es einstürzen und sie erschlagen könnte. Sie sehnten sich verzweifelt nach einem Gefühl von Stabilität und versuchten es in tausend irrationalen Kulturen zu erlangen. Hinterlistige Wanderprediger und Bauernfänger fanden in ihnen leichte Opfer. Bald war es eine Touristenattraktion, an Sonntagen ihre Siedlungen zu besuchen und die unablässigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern verfeindeter - aber gleichermaßen verrückter -Sekten zu beobachten. Versicherung kostete Zuschlag.
    Seit dem Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755, das die Grundfesten des Christentums in halb Europa erschütterte, hatte sich nichts Vergleichbares in der westlichen Zivilisation zugetragen. Mittlerweile bestand auf Landesebene wieder so etwas wie ein regierungsähnliches Gebilde und bewährte sich, soweit es ihm überhaupt möglich war, seit nunmehr schon einem Vierteljahrhundert. Aber die vom Erdbeben hinterlas-senen Narben waren in die Namen der neuen Städte eingeschrammt: Unsicherheitshausen, Abgrundsdorf, Einstweilin-gen, Verschiebenheim, Flüchtigrast. und Gottbewahre. Völlig unvermeidlich, weil dies neue Städte innerhalb einer Nation waren, die seit rund hundert Jahren jeglichen Neulands entbehrte, hatten sie die Ruhelosen angelockt, die Dissidenten, manchmal auch kriminelle Elemente aus weiterem Umkreis. Neuere Landkarten zeigten diese Orte wie zufällig verteilte Tintenkleckse zwischen Monterey und San Diego und landeinwärts in einem Streifen von fast dreihundert Kilometer Breite. Sie verkörperten eine Nation in der Nation. Noch immer stand Touristen das Kommen frei. Aber meistens sahen sie davon ab. Selbst in Istanbul fühlte man sich eher zu Hause.
    »Sandy!« Kate setzte sich auf einen Stuhl ihm gegenüber und patschte ihn aufs Knie. »Sie sind jetzt aus dem Gröbsten raus, also lassen Sie sich nicht wieder wegsacken. Reden Sie! Und diesmal vernünftig. Was jagt Ihnen solchen Schrecken vorm Tarnover ein?«
    »Wenn man mich schnappt, wird man mit mir machen, was man schon ursprünglich mit mir anstellen wollte. Wovor ich geflohen bin.«
    »Und das wäre.?«
    »Mich in eine Ausgabe von mir selbst verwandeln, die mir mißfällt.«
    »So etwas passiert ständig irgendwem. Wer Glück hat, gewinnt dabei, der Rest leidet. Aber Sie meinen etwas, das tiefer geht. Schlimmeres.«
    Er nickte matt. »Ja, richtig. Ich bin der Überzeugung, daß diese Leute mich umkrempelten, sobald sie dazu die Gelegenheit erhielten, und daß es nicht die allerleiseste Hoffnung gäbe, sich ihnen widersetzen zu können.«
    Ein trübsinniges Schweigen schloß sich an. Schließlich nickte Kate; ihre Miene war ernst.
    »Ich blicke durch. Sie würden genau wissen, was man Ihnen zufügt. Und später wären Sie selber fasziniert von den Aufzeichnungen Ihrer Reaktionen.«
    »Ich glaube, Sie lügen bezüglich Ihres Alters«, sagte er nach einem freudlosen Auflachen. »Kein so junger Mensch könnte so zynisch sein. Aber natürlich haben Sie recht.«
    Erneutes Schweigen; diesmal voller düsterer Bedrücktheit. »Ich wünschte«, brach sie es endlich, »Sie wären zu klarer Rede imstande gewesen, bevor wir KC verließen. Anscheinend kapieren Sie jetzt erst richtig, was wir treiben. Na, macht nichts. Ich bin der Meinung, wir sind hier am richtigen Fleck. Wenn Sie Ortschaften wie Gottbewahre - wie lange? - sechs Jahre lang gemieden haben, wird man ja nicht unverzüglich damit anfangen, ganz Kalifornien nach Ihnen zu durchkämmen.«
    Erstaunlich, befand er, wie ruhig er das aufnahm: sein größtes Geheimnis so beiläufig erwähnt zu hören. Doch vor allem war es beinahe unglaubwürdig, daß nun endlich jemand auf seiner Seite stand. Daher die Ruhe? Höchstwahrscheinlich. »Sind wir in einem Hotel?« erkundigte er sich.
    »So ähnlich. Man nennt es Offenes Logis. Man kriegt ein Zimmer und sorgt ansonsten selber für sich. Drüben ist eine Küche .« - ein vager Wink hinüber zur Tür - ».und es gibt kein Limit für die Aufenthaltsdauer. Und zum Glück stellt auch niemand Fragen, wenn man einzieht.«
    »Sie haben Ihren Code benutzt?«
    »Dachten Sie vielleicht, ich

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