Der Schönheitschirurg
Der Chirurg hatte sich in der britischen Militärmaschinerie so sehr verstrickt, daß es sich als unmöglich erwies, ihn einfach abzuschieben, als das Sanatorium seine Säle nach Friedensschluß zurückforderte. Da man nicht recht wußte, wohin man ihn stecken sollte, versetzte ihn die Armee in das Princess Alexandra’s Hospital for Officers in Kensington, eine jener merkwürdigen Londoner Institutionen, von denen niemand wirklich sagen konnte, ob sie nun eigentlich Krankenhäuser oder Heime seien. Der Sarazene ließ sich nicht dadurch unterkriegen, daß er sich hier auf sechs Betten beschränken mußte und den Operationssaal nur an Samstagen zur Verfügung hatte. Sein Talent, sich trotz scharfer Konkurrenz auszubreiten, hätte ihm die Bewunderung seiner vielen Freunde in der Wall Street eingetragen. Es war ihm bereits gelungen, den Krankenhausverwalter aus seinem Büro im Erdgeschoß zu vertreiben, und dort empfing er Graham hinter einem großen Schreibtisch mit einer signierten Photographie von Mr. Woodrow Wilson und der amerikanischen Flagge auf einer Seite und einer signierten Photographie von Mr. Lloyd George und der britischen Flagge auf der anderen.
«Sagen Sie, Doktor», begann er sofort, «warum haben Sie eigentlich unseren Beruf gewählt?»
Diese Frage war für Graham immer peinlich. Seine Familie hatte erwartet, daß er Medizin «machen» würde, und er war zu jung gewesen, um sich gegen solch mangelnde Originalität zu wehren. Er suchte nach einer passend würdevollen Antwort, doch ersparte ihm der Sarazene die Lüge und fügte freundlich hinzu: «Es liegt in der Familie, nicht wahr? Wissen Sie, die Medizin verdankt ihren Dynastien sehr viel.» Er nahm die Skizzen zur Hand, die Graham Haileybury gegeben hatte. «Sie haben ein ganz schönes Zeichentalent, Dr. Trevose. Es ist vielleicht nicht gerade genial, aber man findet so etwas sehr selten unter Medizinern. Ich glaube, die Renaissance ist für die Trennung von Kunst und Wissenschaft verantwortlich.» Er schwenkte die Zigarre in seiner anderen Hand. «Ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, was wir hier tun — oder, besser gesagt, was wir versuchen. Glauben Sie, Sie könnten sich für dieses Gebiet der Chirurgie interessieren?»
«Bei meiner derzeitigen Unerfahrenheit bin ich in der Lage, mich für alles interessieren zu können, Sir.»
Der Sarazene grunzte. «Nicht , wenn ich bitten darf. Wir sind Zivilisten.» Er spreizte seine auf Hochglanz polierten Kavalleriestiefel unter dem Schreibtisch. « ist mein Titel in unserer Abteilung. Wir sind eben dabei, neu zu organisieren, und ich suche ein Paar Hände für den Operationssaal. Ich könnte einen jungen Mann aus der Armee oder sonstwoher nehmen, aber ich will einen, der Gefühl für diese Arbeit mitbringt.» Er musterte Graham durch den Zigarrenrauch. «Sind Sie ehrgeizig?»
Graham hatte nie darüber nachgedacht. «Durchschnittlich, glaube ich.»
Der Sarazene lachte in sich hinein. «Sind Sie auf Geld aus?»
Das kam Graham ausgesprochen undelikat vor. Die Spezialisten, die ihn in Blackfriars unterrichtet hatten, hätten ihre finanziellen Wunschträume ebensowenig in der Öffentlichkeit diskutiert wie ihre sexuellen. Außerdem befand er sich noch in jenem bezaubernden Stadium der beruflichen Karriere, da die Bezahlung so unwesentlich erscheint, wie sie geringfügig ist.
«Ich würde keinem glauben, der das Gegenteil behauptet», fuhr der Sarazene fröhlich fort. «Jedenfalls nicht außerhalb eines Narrenhauses oder eines Klosters.» Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, die Zigarre zur Decke gerichtet. «Wissen Sie, was ich mit diesem Spital machen werde? Ich werde es zum größten Zentrum der plastischen Chirurgie in Europa machen. In der ganzen Welt! Aus allen Himmelsrichtungen werden die Leute herpilgern, um unsere Arbeit zu sehen.» Er lehnte sich plötzlich vor, sein Doppelkinn schwabbelte vor Eifer. «O ja, ich weiß, der Krieg ist vorbei, und die Wunden verheilen, und jede Woche erklärt mir irgendein Jeremias, daß wir Plastikchirurgen nichts mehr zu tun haben. Stellenlos, sagen sie. Wir werden nur noch Warzen, Klumpfüße und Mädchen behandeln, die sich an einer Maschine skalpiert haben. Herrgott, die irren sich aber! (Eitelkeit! Eitelkeit! ’s ist alles Eitelkeit!)» Graham fand, der Sarazene habe eine gute Stimme für biblische Zitate. «Eitelkeit, Doktor! Die wird uns mehr Opfer bringen als die Deutschen. Ich sehe schon die Zukunft vor mir! Ich sehe den Tag, da wir der
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