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Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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Geburten und den Londoner Nebel umgebracht zu haben.
    Nach diesem Gefühlsausbruch war der Professor grob zu Miss Timsworth, die zweimal in der Woche zum Maschineschreiben kam. Er war zwar oft grob zu Miss Timsworth, doch an jenem Nachmittag fühlte sie sich nicht wohl, nadelte mit einer peinlich beredten Geste ihren Hut fest und ging für immer. Sie hatte seine Monographie über die Gelenkschleimhäute getippt, ein Thema, das von seinen Fachkollegen leidenschaftlich diskutiert wurde, ein breiteres Publikum freilich nicht faszinieren konnte. Wie die Kaktusblüte bedeutete das Buch fünfzehn Jahre stillen, unsichtbaren Gedeihens, und hier lag es nun, in nutzlosen Bündeln unleserlicher Handschrift über den ganzen Boden verstreut. Dies war die bitterste Pille von allen.
    In einer allgemein so schwierigen Situation war es bemerkenswert, daß das Abendessen an jenem Tag ein so überwältigender Erfolg wurde.

6

    «Wir haben hier nur eine Männerwirtschaft, Sie dürfen also nicht viel erwarten», entschuldigte sich der Professor bei Edith. Er inspizierte sie zum erstenmal, als wäre sie ein interessantes anatomisches Präparat hinter Glas.
    «Ich bin sicher, es wird schrecklich gemütlich werden», sagte sie. «Oh, so viele Bücher!»
    Es stand im Einklang mit den Sparideen des Professors, das Festessen in dem schäbigen Frühstückszimmer stattfinden zu lassen. Er führte den andauernden Kohlenmangel als Entschuldigung dafür an, daß das große Wohn-Speisezimmer vorne nicht benützt wurde. Und da sich das Land noch nicht so weit vom Krieg erholt hatte, daß Fleisch markenfrei zu haben war, fand er, es sei keine Schande, ja geradezu patriotisch, ein bescheidenes Essen zu servieren.
    «Wie schön das Haus ist!» rief Edith. «Im Weihnachtsschmuck muß es ganz wunderbar aussehen.»
    «Wir feiern solche Feste sehr schlicht», sagte der Professor.
    «Wollen Sie sich vielleicht in den Stuhl beim Kamin setzen, Miss Pollock?» lud Robin ein.
    «Oh, danke schön», sagte Edith. Sie lächelte und klimperte mit den Augen. «Vielen Dank.»
    Im Gaslicht gaben sie ein merkwürdiges Quartett ab, wie sie da auf wohlreparierten, plüschbezogenen Stühlen um den mit blendend weißem Leinen und dem Familiensilber gedeckten Tisch saßen und kalten Schinken und gemischtes Essiggemüse aßen. Der Professor selbst, in dunklem Anzug und mit schwerer Uhrkette, roch wie immer nach seinen Leichenkonservierungsmitteln. Robin sezierte Edith mit den Augen ebenso genau wie sein Vater, obwohl der Schmerz, den er sich vom ersten Treffen mit seiner zukünftigen Schwägerin erwartet hatte, von ihrem offensichtlichen Wunsch, es allen recht zu machen, etwas betäubt wurde. Außerdem war er nur zu erpicht darauf, angeregt über Tropenkrankheiten wie Kala-Azar, Frambösie, Trypanosomniasis, Latah, Chappa, Chiufa, Kubisagari und andere Leiden zu sprechen, die in einer Welt der sanitären Einrichtungen, der Straßenbeleuchtung und der Taxis unbekannt waren. Edith trug das blau-weiße Kleid, in dem sie Graham zum erstenmal gesehen hatte, doch hatte sie es ganz gewagt bis fünfzehn Zentimeter über die Knöchel gekürzt und ihr helles Haar einem modernen Haarschnitt unterzogen. Sie war völlig ungezwungen. Akademisch gebildete Herren waren für sie recht gewöhnliche Wesen geworden. Graham aber saß in ungewohntem Schweigen; er fühlte sich wie der Autor leidenschaftlicher, geheimer Briefe, der sie plötzlich als rotverschnürtes Bündel in einem Gerichtshof sieht.
    Die erste Unannehmlichkeit, der sich Graham nach seiner Rückkehr aus dem Sanatorium gegenübersah, war die Tatsache, daß zwischen Edith und selbst den äußersten Ausläufern seiner Gesellschaftsschicht eine ungeheure Kluft lag. Sein Vater machte ihm klar, daß Leute, die Menschen sezierten, und solche, die Sonntagsbraten tranchierten, einfach nichts miteinander zu tun hätten. Doch schien er weniger über die Verbindung an sich betroffen als damit beschäftigt, alle Hoffnungen auf finanzielle Unterstützung zu zerschlagen, die die beiden haben mochten. Tante Doris brach in Tränen aus und tröstete sich damit, daß Grahams Mutter nicht mehr am Leben war und die Schande nicht mit ansehen mußte. Der junge Mann begann sich zu fragen, ob er am Ende etwas vorschnell gehandelt habe.
    Er versuchte, brieflich kalten Wind auf Ediths Leidenschaft zu blasen, doch loderte sie davon nur noch höher. Zur ersten Friedensweihnacht schlug die Tür seines Notausganges donnernd zu. Da die Gesichtsklinik nun

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