Der Schönheitschirurg
Kniegelenk haben der meniscus medialis und der meniscus lateralis keine Gelenkschleimhäute: Es ist nun notwendig, daß wir unsere Aufmerksamkeit auf die interessante Tatsache lenken, daß diese Knorpel andererseits völlig normal von Gelenkschleimhäuten umschlossen sind ...» Sie suchte die Stelle und fügte hinzu: «Und zwar beim Fötus.»
Sie überlegte oft, was dieses merkwürdig aussehende Wort wohl bedeute.
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Am nächsten Montagmorgen erwartete Graham im Princess Alexandra’s Hospital ein durch Boten überbrachter Brief. Miss Cazalay zeigte sich darin ebenso zerknirscht darüber, daß man Graham nicht gebührend hinausgeleitet habe, wie wegen ihres unverzeihlichen Lapsus, überhaupt in Ohnmacht gefallen zu sein. Dann erklärte sie, eine Gruppe vom Roten Kreuz (Graham konnte nie herausfinden, was diese Gruppe eigentlich war oder tat) treffe sich einmal im Monat in ihrem Haus zu einem medizinischen Vortrag. Leider habe der holländische Arzt mit dem völlig unmöglichen Namen, der für kommenden Samstag eingeladen worden war, um die Mysterien der Psychologie zu entwirren, sich krankheitshalber entschuldigen müssen (sie nehme an, der arme Mensch habe sich genötigt gesehen, eine Art Nervenheilanstalt aufzusuchen, fügte sie mit einem fröhlichen kleinen Ausrufezeichen hinzu). Ob Dr. Trevose wohl in die Bresche springen könne? Das Publikum sei klein, aber verständnisvoll.
Anschließend werde Tee gereicht. Sie hoffe sehr, daß ihm das Datum genehm sei.
Es war Graham genehm.
Es kam ihm niemals in den Sinn, Bedenken zu äußern, daß er nach wenigen Monaten Praxis, zum größten Teil unter Haileyburys irritierend strenger Überwachung, kaum als Autorität in der plastischen Chirurgie gelten durfte. Wenn man ihm nur die Bühne gab, würde er schon für das Theater sorgen. Es war wieder sein angeborener Exhibitionismus. In späteren Jahren hielt er in Ländern, die damals noch gar nicht existierten, vor Leuten, die man damals noch als Wilde abtat, Vorträge über eine Chirurgie, von der zu jener Zeit noch niemand zu träumen wagte. Doch keiner dieser Vorträge erreichte die Bedeutung seiner kleinen Rede vor dem Tee in Miss Cazalays Salon im ersten Stock.
Um sich gegen die verräterischen Strahlen des Lampenfiebers zu rüsten, reduzierte er seine Zuhörer einfach zu einer Reihe von Hüten: ein Lampenschirm aus lauter Fransen schimmerte vor seiner Nase, eine Art Schuhschachtel sackte zu seiner Rechten herab, ein Gebilde wie die Rüsche auf einem Lammkotelett zu seiner Linken, irgend etwas direkt aus «Alice im Wunderland» nickte im Hintergrund, vermutlich schlafend. Die Gruppe bestand nur aus Frauen mittleren bis fortgeschrittenen Alters, vermutlich reich, großteils adelig und grauenhaft arrogant. Der schmeichelhafte Andrang im Salon wurde ihm durch nichts vergällt, da er nicht wußte, daß Miss Cazalay das Publikum telefonisch zusammengetrommelt hatte, weil sie sich ihrem unfreiwilligen Arzt gegenüber verpflichtet, ja sogar schuldig fühlte.
Graham sprach ohne Manuskript. Er umspielte die Damen mit einem kleinen Lachen, er ließ sie milde erschauern, erklärte mit großem Feingefühl das Prinzip, Haut und Knochen von einem Teil des Körpers zum anderen zu übertragen. Sein Einfühlungsvermögen für das Publikum war so natürlich wie das Gerald du Mauriers.
Die Damen waren sehr beeindruckt von diesem blassen, zarten, jungen Arzt mit der weichen Stimme, der so magische Kräfte in der Gewalt hatte, zumal sich Graham sorgfältig fein gemacht und sogar ein wenig von dem duftenden Haarwasser gestohlen hatte, das Robin zu kaufen pflegte, um (wie er vorsichtig erklärte) seine Haarwurzeln zu nähren. Am Ende seines Vortrags reichte er die harmlosesten Fotografien herum, die er im Büro des Sarazenen hatte finden können. Etwa die Hälfte der Zuhörer betrachtete sie und schauerte pflichtbewußt. Er bat um Fragen.
Einer der Hüte fragte, ob man Haut von einem Menschen auf den anderen übertragen könne. Graham bedauerte, doch sei es vielleicht bei eineiigen Zwillingen möglich. Ein anderer fragte, offensichtlich in recht spekulativer Absicht, ob man die Form einer Nase wirklich durch eine Operation ändern könne. Sicherlich. Man habe die Wahl zwischen griechischen, römischen oder Stupsnasen... Noch spekulativer: Was eigentlich dieses Face-lifting sei, von dem man so viel höre. Ganz einfach! Man mache einen Einschnitt an der Schläfe, unter dem Haaransatz verborgen, ziehe die Haut hinauf und schneide alles
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