Der Schönheitschirurg
Autobusse waren voll, die Passagiere auf dem Oberdeck drängten sich unglücklich unter die Planen. Er wandte sich zur Untergrundbahnstation Dover Street, doch entschloß er sich impulsiv, zu Fuß nach Hause zu gehen. Im Gehen war man sich selbst genug und allein, und er hatte Grund zum Nachdenken.
11
Edith.
Mein Gott, Edith! Er wollte sie gar nicht heiraten.
Er hatte es den ganzen Sommer mit sich herumgetragen. Er hatte eben einen Tagesausflug in eine reizende Welt genossen, die Marmortreppen, reichliches Personal, Glashäuser voll idiotischer Pflanzen, «Arbeit», die faulen Müßiggang kaschierte, dekorative Hüte, schön geschnittene Gurkensandwiches und Dr. Whitehead enthielt. Warum sollte er, Dr. Trevose, sich darin nicht häuslich einrichten? Miss Cazalays Salon erfüllte ihn mit mehr Ehrgeiz als der Operationssaal des Sarazenen. Er hatte Verstand. Jedenfalls soviel wie Dr. Whitehead. Er hatte Energie - er würde vierundzwanzig Stunden am Tag arbeiten. Aber selbstverständlich war bloße Intelligenz nicht genug, ebensowenig wie bloße Tapferkeit im Krieg.
Um in der modernen Medizin Erfolg zu haben, benötigte man eine gesellschaftliche Position, Geld, Beziehungen und vornehmes Gehabe. Graham glaubte sich zu erinnern, daß Dr. Whitehead die Tochter einer Herzogin geheiratet hatte. Er überlegte finster, was sie von Edith halten würde. Und nicht nur sie, sondern auch die Gattin eines x-beliebigen schlecht qualifizierten praktischen Arztes, der sich mit einer großen Krankenkassenpraxis und einer noch größeren Hypothek herumschlug. Sie würde die Nase rümpfen und dadurch doppelt unschön aussehen. Seine Familie hatte recht. Graham Trevose, der große Plastikchirurg, konnte seine Laufbahn nicht als Mann eines Mädchens aus der Fleischerei beginnen. Er verfügte nicht nur über eine wunderbare Kunstfertigkeit, sondern bezauberte auch die Frauen - der Sarazene hatte es ihm gesagt, und sein Urteil war in beiden Dingen kompetent. Seine bedrückte Stimmung hellte sich kurzfristig auf, als er sich daran erinnerte, wie er das ganze Zimmer voll hochtrabender, reicher alter Vetteln gezähmt hatte. Aber Charme - wie Artillerie - war wertlos, vergeudet und regelrecht gefährlich, wenn er gegen das falsche Ziel gerichtet war.
Außerdem liebte er Edith nicht.
Oder doch? Er wünschte, der Zustand hätte klar erkennbare Zeichen und Symptome, wie Typhus. Sein Leben mit Edith war zwar glücklich, aber die große Leidenschaft war doch sicher etwas anderes, etwas, das wie Fieber im Blut raste? In den Filmen sah es jedenfalls so aus. Würde er je wissen, ob er sie liebte? Würde er je wissen, ob er irgend jemanden liebte? Eine erbärmliche Schwäche. Konnte er vielleicht gar nicht lieben? Er fühlte tiefes Mitleid mit sich selbst.
Aber er war verlobt. Es war eine heilige Verpflichtung, er hatte sein Wort gegeben, nur ein Schuft würde es brechen. Er mußte durchhalten wie ein Ehrenmann. Außerdem fehlte ihm völlig die zu einem endgültigen Bruch nötige Grausamkeit. Oder jedenfalls der Mut. Vermutlich lag es im Grunde an seiner mangelnden Charakterstärke, die schon der schottische Chefarzt so beklagt hatte. Als er die Oxford Street erreicht hatte, begann es zu donnern. Er schlug seinen Rockkragen hoch. Erst jetzt kam ihm zu Bewußtsein, daß er völlig durchnäßt war.
Das Gewitter hatte aufgehört, als er Hampstead erreichte, aber der Nachmittag war noch dunkel, und das Gaslicht im Haus brannte hell. Es war Samstag. Edith würde noch da sein und Weisheiten über die Gelenkschleimhäute herunterklopfen. Sie durfte ihn jetzt nicht sehen. Er würde eine Erkältung als Entschuldigung anführen, in sein Zimmer gehen und rauchen. Er öffnete die Eingangstür und traf in der Vorhalle Robin inmitten seiner Gepäckstücke.
«Graham —»
«Oh, hallo.» Graham zog seine Jacke aus. «Ich bin durch und durch naß. Konnte keinen Bus bekommen.»
«Graham, ich muß mit dir sprechen.»
«Was, hier und jetzt? Kannst du nicht sehen, daß ich bis auf die
Haut naß bin? Willst du, daß ich mir eine Lungenentzündung hole? »
Robin warf den Kopf zurück. «Im Studierzimmer brennt ein Feuer.» Sein Gesichtsausdruck war so todernst, daß Graham ihm folgte. Er überlegte beunruhigt, was es geben könnte. Vater? Vielleicht hatte er den gleichen anatomischen Unfall gehabt wie sein Vorgänger. Er war überrascht, daß Edith nicht im Arbeitszimmer war. Sie saß neben dem Kamin, die Hände im Schoß verschränkt. Während Graham seine
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