Der Schönheitschirurg
Die Szene war so sehr jenseits der Erfahrung eines Akademikers, daß er sich einfach in größter Eile zurückzog. Er saß im kalten, dunklen Frühstückszimmer auf der Lehne eines viel zu weich gepolsterten Sessels, schaukelte vor und zurück und murmelte: «Mein Gott, was ist nun über uns gekommen?» Sein Geist war zu sehr auf die handgreiflichen Mysterien anatomischen Gedankengutes eingestimmt, als daß er einen Ausweg aus diesem Gewirr von Gefühlen gefunden hätte. Auch nur der Versuch, Ordnung in dieses Chaos zu bringen, würde seine Gelehrtenstube mit Unruhe erfüllen. Hatten seine Ohren richtig gehört? Sicher nicht! Sollte Robin Edith heiraten? Sie zu den Straits Settlements entführen? Er sprang mit einem zornigen Schrei auf. Die Gelenkschleimhäute! Jetzt würden sie nie fertig werden.
Im Arbeitszimmer tastete sich Robin zu Edith, legte seinen Kopf in ihren Schoß und murmelte: «O Gott, was habe ich getan? Was habe ich getan? Edith, mein Liebling, du mußt mich strafen. Du mußt mich strafen, streng, sehr streng ...»
Seine Stimme versank im dunklen Treibsand seines Innenlebens. Edith fand, daß er sich manchmal etwas verstieg. Sie legte zärtlich ihre Hand auf die seine. Sie hatte gefürchtet, es -würde eine furchtbare Szene geben, aber es war doch eigentlich alles recht gut gegangen. «Kränke dich nicht, mein Lieber. Wir sind bald weit überm Meer.» Plötzlich fiel ihr etwas ein. «Oh!» rief sie aus. «Hast du daran gedacht, die Schiffahrtslinie wegen der Doppelkabine zu verständigen?»
Ihr ausgeprägter Sinn für das Praktische würde den beiden im Osten sehr zustatten kommen.
Oben warf sich Graham auf sein Bett und lachte. Er lachte so sehr, daß es ihn würgte. Er mußte aufspringen und sich in den Eimer unter seinem Waschtisch erbrechen, wo er vor achtzehn Monaten nach seiner Haemoptoe die Blutfetzen aus seinem Mund gespült hatte. In dem bräunlichen Schaum sah er Dutzende von kleinen Gurkenstückchen umherschwimmen.
12
Während der letzten Woche des neuverlobten Paares in Hampstead behielt Graham die Haltung würdevoller Gekränktheit bei. Da Robin dafür sorgte, daß er niemals mit Edith allein blieb, sprachen sie nur einmal durch Zufall auf der Treppe.
«Ich hoffe, du wirst mit meinem Bruder sehr glücklich sein», sagte er.
«Das ist riesig lieb von dir, Graham.» Ihre Stimme klang, als wären sie einander eben förmlich vorgestellt und nicht auseinandergerissen worden. Sie ging eine Stufe hinunter, drehte sich um und fügte hinzu: «Du wolltest mich eigentlich gar nicht heiraten, oder?»
Graham setzte einen Ausdruck von so schmerzgequälter Verwunderung auf, daß sie die Stufe wieder hinaufstieg und sich neben ihn stellte. «Nein, du wolltest nicht. Du willst in der Welt weiterkommen, nicht wahr?»
«Was hat das damit zu tun?»
«Du hast die Kraft, etwas aus dir zu machen.» Sie klopfte sich auf die Stirn. «Hier oben. Du würdest meiner überdrüssig werden. Ich wäre nur ein Mühlstein um deinen Hals», sagte sie liebenswürdig. «Du wirst eines Tages berühmt sein. Wie Dr. Sarasen. Du hast keine Angst vor neuen Wegen.» Sie musterte die dunkle, schlecht dekorierte, männlich unordentliche Halle. «Du willst etwas Besseres von deinem Leben als das hier. Oder nicht?»
Graham lächelte. «Das klingt alles sehr klug, Edith.»
«Ich bin nicht klug. Gar nicht. Ich kann nur manchmal beeinflussen, was die Leute von mir denken. Und das nicht immer. Jedenfalls - alles Gute, Graham.»
Angesichts ihres Lächelns bedauerte er, daß man ihm die Entscheidung vorweggenommen hatte. «Komm!» rief er. «Laufen wir miteinander weg, wir beide. Nach Gretna Green. Wir brauchen kein Gepäck, nur einen Ehering.»
Sie lachte und drohte ihm mit dem Finger. «Sei nicht albern.» Sie rannte die Treppe hinunter, immer noch lachend, ihr Kleid flog hoch und zeigte ihre Waden.
Robin verlor sehr schnell seine Gewissensnot in einer Wolke von Betulichkeit über Schiffskarten, beschleunigten Heiratsgenehmigungen, Medikamenten, Blumen, Empfehlungsbriefen, Keating’s Insektenpulver, Gesangbüchern und empfängnisverhütenden Mitteln. Er gab sogar seiner Verwunderung darüber Ausdruck, daß sich Graham weigerte, zur Trauung zu kommen, die in aller Stille in der Missionskapelle in Woolwich von einem seiner
Mitbrüder vorgenommen wurde. Anschließend gab es einen Empfang mit einer großen Torte und wenig Champagner. Robin hielt eine Rede, die auch einem Bräutigam, der auf direkterem Wege zum Altar
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