Der Schönheitschirurg
zögernden Patienten voll reizbarer Ratlosigkeit betrachtete. Er vermied starrköpfig den Rat seines Missionarskollegen, teils aus Stolz und teils wegen der Gefahr, mit Speichel und Geschwätz überschwemmt zu werden. Die größte Enttäuschung aber war, daß seine Patienten, statt ihm interessante Tropenkrankheiten zu bieten, die die Magie des weißen Mannes heilen konnte, zum größten Teil gewöhnliche europäische Leiden und schockierend viel Syphilis hatten. Er begann zu grübeln, ob er wirklich willens war, eine so anstrengende Medizin zu praktizieren. Seine Zweifel waren freilich rein theoretischer Natur, da er sich und Edith für fünf Jahre verpflichtet hatte, nicht nur moralisch, sondern auch auf dem Papier.
Inzwischen fragte sich der Professor in Hampstead immer noch ärgerlich, warum ein Knauf von seinem Bett immer wieder herunterfiel.
13
Sobald die Flut des Lebens Robin und Edith nach Asien getragen hatte, stieg sie zu Grahams Gunsten.
Dr. Whitehead hielt Wort, wenn auch mehr aus Respekt vor Miss Cazalays Geld als vor Grahams Talent. Graham suchte Mr. Graf ton in banger Erwartung im Sloane Hospital auf und fand in ihm einen großen, starken, wohlhabenden Chirurgen, der so gutherzig war, daß er es begrüßte, einen Protégé einstellen zu können, der ihm den Kummer ersparte, erfolglose Bewerber abweisen zu müssen.
«Das Leben hier wird für Sie direkt ein Urlaub sein nach all der Pionierarbeit», sagte er freundlich zu Graham. Im Gegensatz zu den meisten anderen Halsspezialisten war er ein Bewunderer der plastischen Chirurgie.
«Ich muß Ihnen leider sagen, Sir, daß ich gar keine Erfahrung in der HNO-Chirurgie habe.»
«Sie werden es schnell lernen», sagte Mr. Grafton. «Ich mache zum Großteil Mandeln.»
Mandeloperationen gehörten ebenso zu einer konventionellen englischen Erziehung wie die Konfirmation, beide Prozeduren hatten gleich wenig nachweisbar guten Einfluß auf die Kandidaten. Graham erfaßte Mr. Graftons Technik jedenfalls sehr schnell. Der kleine Patient wurde von einer Krankenschwester auf den Operationstisch gelegt, dann knebelte ihn John Bickley, der junge Anästhesist mit den scharfen Zügen, mit einer Maske aus Draht und Scharpie und betäubte ihn mit einem Strahl süßlich riechenden Äthylchlorids aus einer Miniatursodaflasche. An einem genau festgelegten Punkt zwischen Wachen und Tod fegte John seine Maschinerie zur Seite und zog sich zurück. Er beobachtete die Prozedur mit dem munteren Sam-Weller-Ausdruck des aufmerksamen Dieners, der allen Anästhesisten gemeinsam ist. Eine Drehung, ein kleiner Schnitt von Mr. Graftons langer Mandelguillotine brachte die Missetäter zum Vorschein, ein rascher Kratzer mit der Kürette entfernte als Draufgabe die Polypen, dann hielt Graham das Opfer an den Fersen hoch, damit es nicht in seinem eigenen Blut ersticke, während es sich in die Welt zurückhustete und -würgte.
Nach den Operationen, wenn der kleine, heiße Operationssaal aussah wie die Place de Grève nach einem arbeitsreichen Tag während der Schreckensherrschaft, mußte Graham die Mandeln und Polypen einsammeln und seinem Chef in einem Glas überreichen. Er stellte sich vor, daß sie einer tiefschürfenden otorhinolaryngologischen Studie dienen sollten, bis er eines Tages herausfand, daß der Laryngologe sie auf seine Erdbeerbeete gab. Sie waren anscheinend als Düngemittel absolut unübertroffen. Da alle Patienten privat zahlten - die Mandeln nicht zu verlieren war einer der wenigen zeitgenössischen Vorteile der Armut -, da Graham ein bis zwei Guineen pro Fall bekam und da Mr. Grafton den Umsatz eines tüchtigen Schlächters aus Chicago erreichte, verdiente er recht gut.
Während des Winters 1919, als die Welt den Krieg für immer abschaffte, indem sie den Völkerbund gründete, erhob Mr. Grafton Graham zu seinem Oberarzt. Dann überkam den Sarazenen plötzlich die Gier, seine Taschen mit Guineen zu füllen. Er verließ das Princess Alexandra’s Hospital nach einem komplizierten Streit (zunächst einmal hatte der Verwalter sein Büro zurückverlangt, sobald der Zauber des Sarazenen zu verblassen begann) und mietete mit geliehenem Geld Räume in der Wimpole Street, die er großzügig als Operationstrakt ausstaffierte. Graham zögerte, ob er das Angebot, Assistenzarzt zu werden, annehmen sollte. In den Augen der Ärztekammer existierte der Sarazene nicht. Aber John Bickley, der für den Sarazenen anästhesierte, versicherte ihm, es laufe ein Prozeß gegen die
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