Der Schönheitschirurg
ständig so leichthin über Scheidung? Es ist wahrscheinlich das Kino.
...ohne Geld auszukommen, wenn man sich daran gewöhnt hatte, Geld zu haben, meint Graham. Es wird schon stimmen. Nur: Es ist mindestens ebenso schwer, ohne Geld auszukommen, wenn man noch nie welches übrig gehabt hat. Daran gewöhnt man sich nämlich überhaupt nicht.
Scheidungen sind nicht so leicht, gar nicht. Ich ging einmal zu einem Anwalt, nur um sie zu beruhigen. Maria müßte sich von mir scheiden lassen. Und sie weiß gar nichts von Kittys Existenz. Stell dir bloß vor, wie ich dieses Thema ins Gespräch bringen sollte!»
«Bist du in Kitty verliebt?»
Graham zuckte die Schultern. «Ich weiß nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich Maria liebe. Ich wußte überhaupt nie, ob ich in irgend jemanden verliebt war. Vielleicht habe ich eine angeborene Immunität gegen diesen Zustand wie manche Leute gegen Tuberkulose. Ich kann keine Liebe geben und, was ärger ist, keine empfangen. Das macht mich in den Augen vieler Leute so kalt und berechnend. Vielleicht bin ich ein bißchen schizophren - emotionelle Stumpfheit, du weißt schon. Jedenfalls hat sich jetzt alles zugespitzt. Ich nahm ein Mädchen, das ich in einem Fotostudio kennenlernte, mit nach Paris. Ich nehme an, Kitty hat es herausgefunden. Es ist schrecklich beunruhigend. Ja, wahrscheinlich liebe ich Kitty doch. Sonst wäre es mir doch sicher gleichgültig?»
John lachte. «Wirklich, Graham! Schau dich doch an. Eine Frau ist für dich genau wie die andere, nicht wahr? Solange sie eine funktionstüchtige Vagina hat, bist du glücklich.»
«Vielleicht. Wir sind eine furchtbar lüsterne Familie.» Selbstmitleid schwang in seiner Stimme, als beschriebe er eine traurige Erbkrankheit. Zumindestens, sagte er sich, habe er Einsicht in seine Fehler. Er konnte nichts dafür, was die Natur aus ihm gemacht hatte. Wenn nur die Leute verstehen wollten. «Aber was hilft’s? Ich muß bleiben und mich um Maria kümmern. Obwohl sie gar keinen fürsorglichen Mann will. Eher einen fürsorglichen Arzt. Weißt du, warum ich Maria überhaupt gewählt habe? Es war nicht das Geld, auch nicht das Ansehen und all das. Ich wollte einen Mutter-Ersatz.»
«Ich bitte dich! Lassen wir Freud aus dem Spiel. Du hast ohnedies genug auf dem Hals.»
«Aber es ist wahr», erklärte Graham ernsthaft. «Jetzt, wo sie meine arme, kranke Mutter ist, schenke ich ihr alle schuldige Liebe und Fürsorge und laufe Mädchen meines Alters nach. Wie kann ich diesen Schlamassel in Ordnung bringen? Außerdem kommen mein Bruder und seine Frau in diesem Monat auf Urlaub heim. Das ist noch eine andere Geschichte, auf die ich jetzt nicht eingehen möchte», schloß er verzagt.
«Wir müssen noch eine Menge trinken. Dann wird uns die Antwort kommen», entschied John munter. «Brandy ist ein großartiges zerebrales Stimulans.»
Nach dem Essen und dem Brandy schlug er Graham vor: «Möchtest du auf eine Flaschenparty gehen?»
«Was ist das?»
«Der allerletzte Schrei. Die Leute können sich wegen der Depression nicht leisten, Parties zu geben. Man bringt seine eigene Flasche mit, und die Sache hat sich.»
«Also gut. Ich bin dabei.»
Die Flaschenparty war in einem Dachzimmer eines Hauses in der Pont Street, mit schrägen Wänden und würfelförmigen Möbeln. Da die meisten Männer und Mädchen Pyjamas trugen, war es anscheinend auch eine Pyjamaparty, was, wie Graham annahm, auch zum allerletzten Schrei gehörte. Er nahm auch an, daß er ziemlich betrunken war. Er hatte keine Ahnung, wer die Gastgeberin war, noch wer die Gäste waren. Er fand sich auf einem mit einem Leopardenfell bedeckten Diwan im Gespräch mit einem Mädchen im Pyjama, die nicht nur die eben in Mode gekommenen langen, rosa lackierten Fingernägel, sondern auch - wie er höchst fasziniert bemerkte - lackierte Zehennägel trug. Sie fragte, wie er seinen Lebensunterhalt verdiene, und er sagte, er sei Bankdirektor.
Auf dem Diwan stand ein Grammophon, das er aufzog, um eine Platte von Bobbie Howes und Binnie Haie zu spielen, die «Spread a Little Happiness» sangen. Alle machten viel zuviel Lärm, um es zu bemerken. Er nahm die Platte ab und brach sie irgendwie entzwei. Das Mädchen mit den Zehennägeln kicherte und reichte ihm eine andere. Er stimmte in das Lied ein und grölte sehr laut und falsch: «I lift up my finger and I say, » Als er die Nadel wechseln wollte, merkte er zu seiner Überraschung, daß dieses Manöver
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